Louis Vuitton: Träger von Geschichte

Vielfältig. Neun Themenbereiche umfasst die Ausstellung im Grand Palais.
Vielfältig. Neun Themenbereiche umfasst die Ausstellung im Grand Palais.(c) Grégoire Vieille
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Die Kulturgeschichte des Reisens ab dem 19. Jahrhundert zelebriert das Maison Louis Vuitton noch bis Ende Februar mit einer Ausstellung in Paris.

Keine Koffer. Nur eines Reisesackes bedarf’s, mit zwei wollenen Hemden darin, und drei Paar Strümpfen; ebenso viel für Sie. Weiteres kaufen wir unterwegs. Holen Sie meinen Makintosh und meine Reisedecke, und nehmen Sie gute Fußbekleidung.“ Das war alles, was Phileas Fogg, der Held des Romans „Reise um die Erde in 80 Tagen“ von Jules Verne, seinen Diener Passepartout anwies, für seine anstehende Weltreise einzupacken. Diese auf das Notwendigste reduzierte Packliste könnte auch heute geschrieben worden sein, war jedoch für die damalige Zeit – der Roman wurde 1873 veröffentlicht – ausgesprochen kurz. Damals reiste man stets mit Bergen von Gepäck, und die Truhen und Koffer sorgten nicht nur für den sicheren Transport der Ausstattung, sondern wurden unterwegs auch als tragbares Mobiliar genutzt.

Inspirierend. Historische Modelle dienen oft als Vorlagen für neue Entwürfe.
Inspirierend. Historische Modelle dienen oft als Vorlagen für neue Entwürfe.(c) Grégoire Vieille

Aufbruchsstimmung. Eindrucksvolle Beispiele solcher multifunktionalen Reisetruhen, Koffer und Reisetaschen gibt es bis 21. Februar 2016 in der unter der Patronage von Louis Vuitton entstandenen Ausstellung „Volez, Voguez, Voyagez“ im Grand Palais in Paris zu sehen. Die von dem renommierten Modehistoriker Olivier Saillard kuratierte Ausstellung thematisiert das Reisen als bürgerliches Lebensgefühl vom Anbruch der Moderne bis in die Gegenwart und verschränkt eine kultur- und modegeschichtliche Betrachtung des Reisens mit einer episodenartigen Erzählung der Unternehmensgeschichte von Louis Vuitton. Für das spektakuläre Ausstellungsdesign zeichnet der kanadische Opernregisseur Robert Carsen verantwortlich, der die Ausstellung als einen figurativen Reiseparcours konzipiert hat.

In neun thematische Kapitel unterteilt, überrascht jeder Raum mit außergewöhnlich plastischen Displays und theatralischen Inszenierungen. Die Reise beginnt in einem vollständig mit Holz vertäfelten, einer Schreinerwerkstatt nachempfundenen, sechseckigen Raum, der den Entstehungsmythos des Unternehmens Louis Vuitton nachzeichnet und dabei die Biografie des Gründers schildert. Louis Vuitton brach als 14-jähriger Bursche im Jahr 1835 von seinem Geburtsort im Jura-Gebirge nach Paris auf, wo er bei einem Kistenmacher in die Lehre ging und 1854 sein erstes Geschäft in der Rue Neuve-des-Capucines eröffnete. Von Anbeginn spezialisierte sich Vuitton auf die Bedürfnisse wohlhabender Frauen, denen sich das Reisen allmählich als Möglichkeit eröffnete und die bei Vuitton nach Maß angefertigte Lösungen für den Transport ihrer voluminösen Kleidung und Accessoires fanden.

Liebevoll. Opernregisseur Robert Carsen gestaltete die Ausstellungsräume.
Liebevoll. Opernregisseur Robert Carsen gestaltete die Ausstellungsräume.(c) Grégoire Vieille

Die Ausstellung zeigt auch frühe Werbe­anzeigen des Unternehmens, auf denen Frauen mit immer neuen Gepäckstücken posieren, von der Schuhschachtel bis zum faltbaren Reisebett, vom Beautycase zum transportablen Schreibtisch mit Reisepult und Bibliothek. Vuitton versprach der modeaffinen Kundschaft in seinem ersten Werbeslogan „Specialty Packing for Fashion“, und die Kundinnen von Couturiers wie Charles Worth und Jacques Doucet, die ein paar Straßen weiter in der Rue Saint-Honoré ihre Ateliers betrieben, kauften bei Vuitton ihr Gepäck.
Das Reisen wird in der Ausstellung „Volez, Voguez, Voyagez“ als imaginierter und wirklicher Erfahrungsraum verhandelt, der die Vertrautheit der Heimat mit der Freiheit des Unbekannten verbindet. Das Ausstellungsdesign von Robert Carsen vermittelt dieses Spannungsverhältnis zwischen dem Wunsch nach Geborgenheit und der Sehnsucht nach Abenteuer am deutlichsten in jenen Räumen, die der Schifffahrt, den Automobil-, Flugzeug- und Zugreisen gewidmet sind.

Ein riesiges Segel teilt etwa den Raum, der Jacht- und Dampfschiffsreisen gewidmet ist, in zwei Hälften: Auf der einen Seite sind auf einem hölzernen Schiffsdeck ver­schiedene Versionen der 1901 erfundenen ­„Steamer Bag“ neben bemerkenswert zeitlosen Badeanzügen und Segeloutfits aus den 1920er-Jahren zu sehen. Gegenüber sind auf einer Sanddüne Koffer und Reisetaschen aus diversen Jahrzehnten arrangiert. Der halbe Rumpf eines Kleinflugzeugs samt Propeller und Flügel ragt aus einer himmelblauen Wand in den Raum und fungiert als Präsentationsfläche für das leichte Reisegepäck, das von Louis Vuitton extra für Flugreisen erfunden wurde. Bemerkenswert an der Ausstellung ist, dass die Truhen, Koffer, Taschen und Handtaschen aus dem Archiv des Hauses Vuitton gemeinsam mit Exponaten aus der umfangreichen Sammlung des Pariser Modemuseums Palais Galliera gezeigt werden. So wird das Reisen als eine allmählich erlernte und sich stetig verändernde Kulturtechnik rekonstruiert, die auch in den jeweiligen Kleidungsmoden ihren Niederschlag findet.

Sinn für das Schöne. Dank Olivier Saillards Verbindung zum Musée de la Mode, dessen Direktor er seit 2010 ist, ergänzen historische Kostüme und Accessoires die jeweiligen Etappen des Reiseparcours. Zu den schönsten Leihgaben zählen etwa das gelbe Arbeitssakko des Couturiers Paul Poiret mit seiner personalisierten Reisetruhe oder die bunten, gestrickten Hüte für Automobilreisen der russischen Künstlerin und Modedesignerin Sonia Delaunay.

Auf den letzten vier Etappen des Ausstellungsparcours wird die vordergründig historische Rekonstruktion von einer thematischen Anordnung abgelöst. Hier behandelt man nun jene Themenfelder, die für das Unternehmen Louis Vuitton in seiner mehr als 160-jährigen Geschichte besondere Bedeutung hatten. Die Affinität des Unternehmens zu bildender Kunst etwa, die sich in zahlreichen Kooperationen mit Künstlern widerspiegelte, findet auch in der Ausstellung genügend Raum: So sind die unter anderen bei Takashi Murakami, Richard Prince, Damien Hirst und Cindy Sherman in Auftrag gegebenen Taschenkollektionen, Sonderanfertigungen und Editionen zu sehen. Zum Schluss empfiehlt es sich, einen ausgiebigen Blick in den aufwendig gestalteten Ausstellungskatalog zu werfen, der mit den Exzerpten aus Reiseromanen, den künstlerischen Fotostrecken, den Essays von namhaften Kulturkritikern und vor allem seinem Monogramm-Einband eigentlich selbst als gewichtiges Exponat durchgehen könnte.

Die Autorin reiste auf Einladung von Louis Vuitton nach Paris.

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