Sexueller Missbrauch im Labor

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
  • Drucken

Nachdem in den USA gleich mehrere Fälle in der Physik ans Licht kamen, gerät nun auch die Anthropologie ins Blickfeld.

Auf der Jahrestagung der American Association of Physical Anthropologists (AAPA) gab es vergangenen März in St. Louis zunächst Unerwartetes zu hören: Am Vorabend der Eröffnung bezichtigte eine Assistentin ihren Chef, er habe sie sexuell missbraucht. Im heurigen Januar gab es ein gespenstisches Déjà-vu: Auf der Jahrestagung der American Astronomical Society in Florida beklagten Forscherinnen, sexuelle Belästigung und sexueller Missbrauch seien ein altes Problem in der Zunft.

Und ein bekanntes: Wieder bei der AAPA wurde 2013 eine Studie vorgetragen, laut der von 122 jungen Forscherinnen 59 Prozent von sexuellen Anspielungen durch ihre Chefs berichteten und 18 Prozent von Belästigungen und Tätlichkeiten. 2014 kam ein noch trüberer Befund: 64 Prozent berichteten von Belästigungen, 22 Prozent von Tätlichkeit, es betraf Wissenschaften, die Feldforschung treiben und deren Team oft lang in Einöden sind (PLoS ONE, 9:e102172).

Das Problem ist also bekannt, aber erst im Vorjahr brach es in aller Heftigkeit auf, bei den Astronomen: Es begann im Juni mit Geoff Marcy, einem Exoplanetenjäger in Berkeley: Die Universität fand ihn schuldig, ihre Regeln gegen sexuelle Belästigung verletzt zu haben, beließ es aber bei einer Verwarnung. Erst als der Rest der Berkeley-Astronomen protestierte, musste Marcy gehen. Im Januar flog Astrophysiker Christian Ott vom California Institute of Technology. Noch unentschieden ist die Sache bei einem dritten Physiker, Frederick Slater.

„An die Brüste gegriffen“?

Sie alle hatten hohes Renommee – Marcy war Nobelpreiskandidat –, das brachte Forschungsgelder, Millionen. Auch daran mag es liegen, dass die Universitäten die Fälle eher diskret behandeln, es geht natürlich auch um den Ruf. Der steht nun beim American Museum of Natural History auf dem Spiel, dort arbeitet die eingangs erwähnte Assistentin für Brian Richmond, auch er eine Kapazität. Der Fall zieht sich und ist schwer durchschaubar, etwa weil Zeuginnen von einem Feldaufenthalt in Afrika nur anonym aussagen, Richmond habe ihnen „an die Brüste gegriffen“. Aber daran allein liegt es nicht, dass Sciencein präzendenzlosem Umfang berichtet (351, S. 652):Zumindest die Journale sind erwacht, Nature schon etwas länger, Science eben nun.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.02.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.