Erbe der Neandertaler: Depressionen

Die Geschichte der Menschheit
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Viele Krankheitsrisken haben wir von ihnen, das zeigt der Vergleich ihrer Gene mit denen von Patienten.

Als man den ersten 1848 in Gibraltar fand, hielt man ihn für einen Affen, beim zweiten, der 1856 im Neandertal ans Licht kam, ging das nicht mehr, er war ein Mensch. Aber was für einer! „Ihr Neandertaler ist wahrscheinlich ein Idiot; keltischer Herkunft sicher“, urteilte ein Anthropologe, ein zweiter sah einen „Australier, den abschreckendsten Typ der jetzt lebenden Wilden“. Als eigener Mensch wurde der Neandertaler erst im 20. Jahrhundert anerkannt, aber man hielt ihn auf Distanz: Ein grobschlächtiger Geselle mit minderer Intelligenz sei er gewesen, deshalb sei er verschwunden, als unsere Ahnen in Europa auftauchten.

Das wurde erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts revidiert: Der Neandertaler war unseren Ahnen in vielem ebenbürtig – in den Jagdtechniken etwa –, das macht sein Verschwinden noch rätselhafter. Aber er ist ja nur in seiner Gestalt verschwunden, in unserer lebt er weiter, 1,5 bis vier Prozent unserer Gene haben wir von ihm. Sie werden immer präziser eingekreist: Zunächst war von jenen für rote Haare die Rede, das stimmt eher nicht, dann von jenen für dicke Haare und Besonderheiten der Haut, das liegt näher, die Neandertaler waren an das kalte Europa angepasst. Zuletzt zeigte sich ein Einfluss im Immunsystem, bei „toll like receptors“, die nehmen Krankheitserreger wahr, die Neandertaler hatten sich auf europäische eingestellt, das gaben sie uns weiter (American Journal of Human Genetics 7. 1.).

Nikotin gegen trübe Stimmung?

Aber auch Krankheitsrisken gehen auf sie zurück, das zeigt die bisher umfassendste Analyse (Science 351, S. 737). In ihr hat John Capra (Vanderbilt University) Genome von Neandertalern mit denen von 28.000 Patienten verglichen, die in einer Medizindatenbank bereit liegen, sie geben Auskunft über viele Leiden – und Laster: Man hat früher schon eine Genvariante der Neandertaler entdeckt, die bei uns mit Nikotinsucht verbunden ist. Capra hat nun eine zweite identifiziert, beim Neurotransmitter GABA. Vielleicht hatten Neandertaler Suchtgifte, man bringt ihren Konsum auch mit Depressionen in Verbindung. Und eine Neigung dazu haben wir von Neandertalern, auch eine zu milderen Stimmungsschwankungen. Diese Leiden hängen oft mit dem Sonnenlicht zusammen bzw. der inneren Uhr („circadian clock“), und vor allem hier haben wir ein breites Neandertalererbe, sie mussten sich ja in Europa auf die schwankenden Jahreszeiten bzw. Tageslängen einstellen.

Auch bei körperlichen Leiden spielt Neandertalererbe mit, etwa jenen der Blase und der Harnwege, diese Genvarianten brachten wohl auch ihnen Übel. Anderes hingegen war für sie nützlich und geriet erst unter späteren Lebensbedingungen zum Fluch, etwa Hautkrankheiten. Oder, ärger, das Risiko von Herz- und Hirnschlag: Neandertaler hatten eine Genvariante, die für rasche Blutgerinnung sorgte. Für sie war das bei Verwundungen von Vorteil, es ließ auch weniger Bakterien in die Wunden dringen. Für uns sind Gerinnsel höchst bedrohlich.

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