„Die Flüchtlinge überfordern die Menschen“

Constantin Schreiber
Constantin Schreiber (c) imago/Future Image (imago stock&people)
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In Ägypten kennt ihn jeder. In Deutschland bald auch: Constantin Schreiber erklärt Flüchtlingen auf Arabisch die Deutschen und den Deutschen den Syrien-Krieg oder das Schicksal des inhaftierten Bloggers Raif Badawi. Ein Gespräch.

Wie ein Musterschüler steht er da, die Haare so ordentlich gelegt wie frisch vom Friseur, und spricht in fließendem Arabisch über Sitten, Gebräuche und das Leben in Deutschland. Dass die Menschen Alkohol trinken, Frauen arbeiten gehen. Und zu Weihnachten trägt Constantin Schreiber seinen Zuschauern übersetzte Weihnachtsgedichte vor . . .

Nur wenige Minuten sind seine Erklärstücke lang, die er auf ntv.de veröffentlicht und die mittlerweile als Unterrichtsmaterial verwendet werden. Auch eine TV-Ausgabe gab es schon. Mit „Marhaba – Ankommen in Deutschland“ hat Schreiber einen Nerv getroffen, erzählt er der „Presse“: „Das ging von null auf hundert.“ Am 10. 3. erscheint sein neues Buch bei Hoffmann und Campe: In „Marhaba, Flüchtling!“ („Willkommen!“) erklärt er, wie Deutschland tickt und wo die Unterschiede zur arabischen Welt liegen – vom Essen über die Religion bis zur Politik. Das Buch ist zweisprachig, richtet sich an beide Seiten: Neuankömmlinge wie Gastgeber. Den Flüchtlingen liest Schreiber schon einmal die Leviten, indem er ihnen in Video Nummer zwölf erklärt, dass die Vorkommnisse von der Silvesternacht in Köln nicht akzeptabel sind: „Auf gar keinen Fall sind Frauen ,Schlampen‘, weil sie sich kleiden, wie es ihnen gefällt.“ Den Deutschen erklärt er den Syrien-Krieg in Talkshows oder geißelt Menschenrechtsverletzungen in Saudiarabien und das Schweigen der deutschen Regierung dazu in seinen Kommentaren.

Besonders nah ging ihm das Schicksal des inhaftierten saudischen Bloggers Raif Badawi. Schreiber hat dessen Buch „1000 Peitschenhiebe“ (Ullstein) herausgegeben. „Früher war es möglich, mit ihm in Kontakt zu treten, gelegentlich wurden ihm Telefongespräche mit seiner Frau gestattet“, erzählt er. Im Jänner hieß es, Badawi sei in Lebensgefahr. Wie es genau um ihn steht, weiß nicht einmal seine Familie. „Inzwischen ist kein Kontakt mehr möglich. Raif war im Hungerstreik, wurde in ein anderes Gefängnis verlegt. Die Informationen sind spärlich und irritierend.“ Badawis Frau wollte den Fall in die Öffentlichkeit bringen, um ihn vor den Auspeitschungen zu schützen. „Aber es ist jetzt auch schwieriger, ihn freizulassen“, glaubt Schreiber: „Es würde das Bild von Saudiarabien schädigen, wenn er mit seiner Geschichte in Talkshows geht.“

„Syrien war wie heute Nordkorea“

Schreiber kann sich locker zwischen beiden Welten bewegen: Als Jugendlicher war er oft in Syrien, lernte die Sprache. „Wir hatten Freunde dort, die ich häufig besucht habe. Ich war in den 1990er-Jahren in Damaskus, Latakia, Tartus – noch bevor die ersten Touristen dorthin gekommen sind.“ Wie er das Land erlebt hat? „Ich würde es mit dem heutigen Nordkorea vergleichen – eine Diktatur mit kaum Kontakt nach außen. Man konnte aber in den Libanon fahren, der war liberal, da gab es Nachtleben und Unterhaltung – das war wie ein Leben auf einem anderen Stern.“ Heute fährt Schreiber nicht mehr nach Syrien, hält nur über Facebook und Skype Kontakt. „Ich möchte das Land so in Erinnerung behalten, wie es war – nicht in Schutt und Asche. Das tut mir in der Seele weh.“

Früher arbeitete er als Reporter im Libanon, eine Zeit lang war er Nahost-Berater des Auswärtigen Amts. Heute berichtet er als Politikreporter für RTL aus Berlin. In Ägypten kennt ihn jeder, weil er eine populäre Wissenschaftssendung bei ONtv präsentiert. Wenn man ihn fragt, in welcher Welt er sich daheim fühlt, bekommt man eine klare Antwort: „Ich bin durch und durch preußisch. Meine Heimat ist Berlin. Ich habe keinen Migrationshintergrund, meine Familie wurde durch den Zweiten Weltkrieg, durch Flucht und Vertreibung geprägt.“ Er denkt völkerverbindend – aber das will nicht jeder hören. „Es gibt nicht nur positive Reaktionen auf ,Marhaba‘“, erzählt er: „Vor allem am Anfang wurde geschimpft, ich würde die Islamisierung vorbereiten. Einer schrieb sogar: Hilfe, mein Bombengürtel lässt mich fett aussehen!“ Ob er die Angst der Leute vor den Flüchtlingen verstehen kann? „Absolut. Es gibt Spannungen, Gefahren, die ein Zuzug von so vielen Menschen mit sich bringt. Die Flüchtlinge überfordern die Menschen – und das ist brandgefährlich. Das war ja auch meine Motivation, diese Sendung zu machen.“

>> www.n-tv.de/marhaba

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.02.2016)

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