Radio: Das Ohr zur Welt

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Radios und Lautsprecher geben dem Unsichtbaren Form. Früher waren sie vor allem Geräte. Heute sind manche Designobjekte. Und andere tun so, als ob sie welche wären.

Rudolf Greger und Christoph Pauschitz verbindet mehr als ihr gemeinsames Designbüro GP designpartners. Sie beide schauen gern hinter die Kulissen, schrauben auch schon mal den Laserdrucker in ihrem Studio auf, um zu verstehen, was da los ist. Genauso wie Omas Küchenradio, Marke Ingelen (ehemaliger Firmensitz 1. Bezirk, Wien), selbst wenn darin kaum Überraschungen warten. „Radios sind ja keine Rocket Science“, sagt Pauschitz. Ein bisschen Physik in der Schule – und man könnte theoretisch verstehen, was da passiert. Doch zwischen den Zeiten in Omas Küche und heute sind die Technologien doch irgendwie zu Raketen geworden. Oder sie tun zumindest so, wenn sie sich in unnahbaren Zauberkästen verstecken. So einfach den Deckel ab­schrau­ben kann man da nicht mehr. Auch weil das, was früher ein Gerät war, inzwischen oft nur noch ein Icon, eine App auf einem Screen ist. Und so hat das, was man früher Unterhaltungselektronik nannte, trotz USB, Bluetooth-Verbindung, Streaming-Diensten und WLAN oft den Anschluss verloren: an die Bedürfnisse der Menschen. Und diese sehnen sich außer nach Technik auch danach, sie zu verstehen. Sowie nach ein wenig physischer Präsenz, meint Designer Christoph Pauschitz.

Einzelgänger. Und nun steht das Radio wieder da. Im Wohnzimmer. Es empfängt. Und es strahlt. Als wäre es nie weggewesen. Gern auch in Holz, und wenn schon in Plastik, dann zumindest als stilistisches Abziehbild von damals. Die Radiomodelle von heute zelebrieren das Gestern, Modellnamen wie „Vintage“, „Heritage“ oder „Revival“ verschleiern das kaum.

Das Radio war einst Mittelpunkt der Wohnwelt, auf den man so einträchtig und schweigend verbunden starren konnte. Noch schöner, wenn man die Ohren dank Designer auf besonders schöne Dinge richten durfte. Sie setzen noch heute visuelle Anker für Augen und Ohren in einem durchgestreamten Universum aus Klang- und Datenwolken. Fast geraten die Radiosolitäre, wie sie so manche deutsche und britische Hersteller entwickeln, wieder zum Mobiliar. Zu Objekten, die sperrig und trotzig in „Wir sind ja alle so mobil“-Tagen das Unverrückbare zelebrieren.

So flüchtig Schallwellen auch sind, so prägend haben sich die Linien, die sie versuchen einzufassen, in die Design­geschichte eingeschrieben. Holzkisten, aus denen Schall kommt – das riecht nach Wohnzimmerwärme, Traummännlein und „Autofahrer unterwegs“. Früher konnte man Radios kaum weniger klobig konstruieren. Sanfte Rundungen, vor allem dort, wo sonst die Ecken sind – schön vertraute Formen, die nur vertraut werden konnten, weil man sie einst nicht anders bauen konnte: Geschuldet sind sie ursprünglich dem Diktat der Herstellung: Als sich allmählich der Kunststoff durchsetzte, ließ die Produktion nichts anderes zu als die „runde Ecke“, den „sogenannten Matrizenstil“, wie Romana Breuer gern bei ihren Führungen erklärt. Sie ist Kuratorin im Museum für Angewandte Kunst Köln (MAKK). Inzwischen sind die Radios zu Icons auf Smartphones geworden. Und Icons wie Smartphones haben sie auch wieder: diese runden Ecken.

Rein formal. Gut, dass dem Runden, allein aus evolutionspsychologischer Sicht, die Sympathien zufliegen. Und gut, dass überall, wo sich etwas wellenmäßig ausbreitet, das Runde sich auch ganz gut macht: Die Designgegenwart nutzt das etwa auch in kugelrunden Lautsprechern aus Augartenporzellan.

In den letzten Monaten hat Romana Breuer viel Rundes betrachtet, vor allem an jenen 250 Radiomodellen, die das MAKK gesammelt hat, insbesondere seit den 1970er-Jahren. Viele davon hat sie für die aktuelle Ausstellung „Radiozeit. Röhrengeräte, Design-Ikonen, Internetradio“ zusammengestellt, zu einer Schau, die zeigt, wie das Radio von der Maschine zur Kiste, zur Truhe, zur spacigen Weltraumkugel und schließlich zum zweidimensionalen Icon auf dem Display wurde. Hersteller wie Apple übten sich fleißig im „Skeuomorphismus“, der Designattitüde des „Anleihennehmens“, des „Nachahmens einer älteren vertrauten Form“, wie Designer Rudolf Greger erklärt. So wird die Schweizer Bahnhofsuhr zur iPhone-Uhr. Genauso wie der berühmte Taschenrechner von Dieter Rams. Die ersten Radio­gestalter allerdings mussten ohne Vorlagen und Vorläufer auskommen. „Die Automobilindustrie hatte sich ja zumindest die Kutschen als Vorbild für das Design nehmen können“, sagt Romana Breuer. Die Radios mussten sich ihre gestalterischen Konventionen erst erarbeiten, als sich ihre Form allmählich ausbildete.

Vor 120 Jahren wurden die ersten Worte an eine Empfangsstation gesendet, 1923 wurde die erste Radiosendung in Deutschland übertragen, der erste österreichische Rundfunksender, die Ravag, nahm 1924 den Sendebetrieb auf. Technik bekam eine Hülle, ein Gehäuse und manchmal sogar ein richtiges Haus, in dem sie wohnen durfte: Miniarchitekturen. Da gab es Typ „Wolkenkratzer“ genauso wie Typ „Kathedrale“, wie Breuer erklärt. Bis heute hat sich eine Riege der namhaftesten Designer an Radioformen versucht. Mario Bellini oder Pier Giacomo Castiglioni genauso wie Ray und Charles Eames, Hartmut Esslinger, Verner Panton oder Richard Sapper.

Auch heute sind vor allem noch die Dänen bemüht, das Auge beim Hören nicht im Stich zu lassen – Peter Bang und Svend Olufsen begannen 1925, auf dem Dachboden an ihren ersten Radios zu basteln. Noch heute gelingt es dem Unternehmen und seinen Designern, Augen und Ohren gleichermaßen zu schmeicheln. Auch weil sie Gestaltungsmerkmale der Vergangenheit in der Gegenwart beschwören, wie Rudolf Greger meint. „Um Erinnerungen an Qualitäten von damals zu erzeugen, müssen die Geräte nicht ausschauen wie damals“, sagt Greger. Es genüge, bestimmte Teile und Merkmale ins Heute zu transferieren. Wie etwa die Qualitäten der warmen Holzhaptik, die Augen und Hände der zugehörigen Ohren oft am dringlichsten vermissen. Wie etwa im Modell „BeoSound Moment“, in dem Holz so berührungsempfindlich reagiert. Auch analoge Erlebnisse und Erfahrungen wie das Drehen am Regler haben die Designer dafür digitalisiert. „Es geht in der Gestaltung darum, kleine Hinweise herauszuholen, die mich an etwas erinnern“, meint Greger.

Rückwärts gewandtes Radio. Viele aktuelle Vintage-Radios blicken beim stilistschen Zurückschauen dagegen eher auf ein oberflächliches Klischeebild. „Die Retro-Gestaltung macht nur dann Sinn, wenn es ihr gelingt, tatsächlich Erinnerungen zu evozieren“, sagt Christoph Pauschitz. Den oft in Plastik gegossenen Abziehbildern fehle, was ernsthafte Gestaltung brauche: Authenzität. Für einige Radios, die als verkitschte Erinnerungen zurück auf das Sideboard im Wohnzimmer finden, fällt den Designern nicht viel mehr ein als „Micky Maus“ oder „Kasperltheater“. Vor allem „wenn da alte Phonomöbel in Plastik imitiert werden, mit USB-Anschluss und iPhone-Ladestation“. Diese Dinge könnten gar nicht von Dauer sein: „Weil sie schlichtweg nicht aus der Zeit heraus geboren sind. Als Designer muss man immer etwas mit gegenwärtiger Relevanz herstellen“, sagt Greger. Nur so kann eine Designgegenwart auch eine Zukunft haben. Selbst wenn sie Dinge betrifft, von denen man fast vergessen hätte, wie schön sie sein können. Wie Radios etwa.

Tipp

Ausstellung. „Radio Zeit. Röhrengerät, Design-Ikonen, Internetradio“. Noch bis 5. Juni im Kölner Museum für Angewandte Kunst. www.makk.de

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