"Das Wissen stützt die Schönheit"

Seit 1994 ist Hervé Chandès Generaldirektor der Firmenstiftung.
Seit 1994 ist Hervé Chandès Generaldirektor der Firmenstiftung.Raymon Depardon
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Die Fondation Cartier läutete einst das innige Verhältnis zwischen Kunst und Luxusmarken ein. Ihr Direktor Hervé Chandès im Gespräch.

Als die Fondation Cartier pour l art contemporain ihre Tätigkeit auf Initiative des Präsidenten von Cartier, Alain Dominique Perrin, aufnahm, war dieser Vorstoß nahezu beispiellos. Heute gilt die Fondation als integraler Bestandteil des Pariser kulturellen Lebens und als Vorbild für andere Institutionen auf vergleichbarer Mission.

Es gibt die Stiftung seit 1984 damals betrat sie absolutes Neuland. Mit welcher Mission ist man gestartet?
Als die Stiftung sich konstituierte, interessierte sich nur ein sehr gut informiertes, recht kleines Publikum für Gegenwartskunst, der Sichtbarkeitsgrad ist absolut nicht mit der heutigen Situation vergleichbar. Unsere Aufgabe war es also auch, etwas an dieser Situation zu ändern. Ein anderer unserer Ausgangsgedanken war, Durchlässigkeit zu unterstützen, die Disziplinen miteinander in Kontakt zu bringen. Das Wort Freiheit ist vielleicht ein bisschen abgenutzt, aber wir wollten verschiedene Positionen miteinander in Kontakt bringen, uns die Möglichkeit offenhalten, neue Verbindungen herzustellen, unberechenbar zu bleiben. Jede Ausstellung sollte ein Weckruf sein und Unvorhergesehenes bewirken.

Welche Kriterien definierte man für die Arbeit der Stiftung?
Das Wichtigste ist, dass die Künstler, egal welchen Ursprungs oder welcher Generation, im Mittelpunkt unserer Arbeit stehen. Das sollten etwa Residency-Programme an unserem ersten Standort in Jouy-en-Josas ermöglichen. Natürlich kaufen wir manche Auftragsarbeiten an, aber das passiert nicht automatisch. Wir haben relativ bald mit thematischen Ausstellungen angefangen, unser Programm auszuweiten, zum Beispiel auf Konzerte. Unser Umzug nach Paris in das von Jean Nouvel geplante Gebäude hat 1994 neue Möglichkeiten eröffnet. Auf einmal waren wir Teil des Kulturgeschehens in der Hauptstadt.

Tut es Ihnen leid, dass in Paris kein Platz für Residencies ist?
Wenn es uns gelingen sollte, den der Fondation zur Verfügung stehenden Raum zu vergrößern, werden wir auf jeden Fall wieder mit Künstlerateliers anfangen, weil das die Qualität der Zusammenarbeit enorm steigert.

Stimmt es, dass erneut ein Umzug überlegt wird?
Alles ist denkbar, und nichts ist beschlossene Sache. Wir befinden uns in einem Nachdenkprozess. Es stimmt aber, dass das Gebäude der Fondation ein wenig zu klein geworden ist. Wir haben zum Beispiel keinen Platz, die Sammlung auszustellen. Wir arbeiten regelmäßig mit Filmemachern zusammen, haben aber keinen Saal, um die Filme zu zeigen. Das hat auch sein Gutes, wir müssen uns jedesmal überlegen, wie etwas funktionieren könnte.

Welche Rolle spielt die stiftungseigene Sammlung?
Unsere Sammlung ist der Spiegel unserer Tätigkeiten in den vergangenen Jahrzehnten. Seit ich 1994 die Leitung übernommen habe, stammen alle Arbeiten, die wir ankaufen, von Künstlern, die wir ausstellen. Viele davon sind Auftragsarbeiten, aber wie gesagt, das ist nicht immer der Fall, weil das zu einem Hermetismus führen würde, den ich vermeiden möchte. Ich würde sagen, die Sammlung der Stiftung ist unser Roman, sie liefert alle Anhaltspunkte, um uns zu verstehen.

Ende 2015 haben Sie eine Ausstellung über kongolesische Kunst gezeigt, die sich als großer Erfolg beim Publikum herausgestellt hat. Hat Sie dieser Erfolg überrascht?
Wie bei all unseren Ausstellungen haben wir großen Wert auf die wissenschaftliche Begleitarbeit gelegt und bislang unbearbeitetes Terrain erschlossen. Es war fast ein Kraftakt, manche Kunstwerke aufzutreiben, weil sie nirgends katalogisiert waren und wir sie bei privaten Sammlern auftreiben mussten, was nur dank der Zusammenarbeit mit Spezialisten aus dem Kongo möglich war. Wir sind derzeit im Gespräch mit Museen, ob die Ausstellung anderswo übernommen wird, und mich würde es sehr freuen, würde das gelingen, weil ich finde, sie sollte absolut auch in anderen Städten gezeigt werden. Bei der Vorbereitung dieser Ausstellung wurde wirklich Unglaubliches geleistet, und das hat sich glücklicherweise in den Reaktionen der Besucher und der Presse widergespiegelt. Wir haben schon 10.000 Kataloge gedruckt allein in französischer Sprache, das ist eine sehr große Zahl für uns. Überrascht hat mich der Erfolg nicht wirklich, mir hat auch der Kurator im Vorfeld immer wieder versichert: Du wirst sehen, wie hier die Post abgehen wird. Und er hat recht behalten, was mich umso mehr gefreut hat, weil wir wirklich außerordentliche Positionen versammeln konnten.

Was zeigen Sie derzeit?
Im Frühjahr zeigen wir zwei große Fotografieausstellungen: einmal Arbeiten von Daido Moriyama, den wir mit einer anderen Schau in Frankreich bekannt gemacht haben. Nun zeigen wir erstmals seine Farbfotografien. Parallel stellen wir einen kolumbianischen Fotografen aus, Fernell Franco, den in Frankreich zuvor vielleicht zehn Personen gekannt haben. Das nächste große Projekt, an dem wir arbeiten, ist eine Ausstellung, die wir das "große Orchester der Tiere" nennen und die im Juli eröffnen wird. Eines der Kernstücke wird eine Installation sein, die sich aus einer Sonothek mit Tierlauten nährt. Auch diese Ausstellung soll sich an ein vielseitig interessiertes Publikum wenden. Das Wissen stützt die Schönheit, die Schönheit stützt das Wissen. Das funktioniert in beide Richtungen.

Tipp

Fondation Cartier pour l art contemporain. Der Sitz der Stiftung befindet sich am Boulevard Raspail am linken Seineufer in Paris. Informationen über die Fondation und ihr Programm auf fondation.cartier.com

("Kultur Magazin", 15.04.2016)

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