Unbearbeitet: Mineralienkabinett

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Diese Stücke sind die Natural Wines der Schmuckwelt: mit Steinen in unbehandelter Kristallstruktur.

Man vergisst es gern: Der Großteil von Schmuck kommt aus dem Boden. Metall und Steine, die klassischen Elemente, stammen aus unterschiedlich tief gelegenen Abbaugebieten oder auch einmal von der Oberfläche eines Hochgebirges. Die aktuellen Schmuckstücke mit Mineralien oder unbearbeiteten Edelsteinen machen diese Herkunft so deutlich wie nur möglich: angriffslustige Bergkristallspitzen, raue, unglamouröse Feldspatbrocken oder Aquamarine mit unbearbeiteten Kanten, die an die Gischt an Steilküsten erinnern.
Karl Lagerfeld schickte für Chanel schon 2012 Models auf den Laufsteg, deren Handgelenke von wenig dezentem Armschmuck beschwert waren: dicke Reifen, üppig mit naturbelassenen und spitzen Mineralien besetzt. Und sorgte gleich einmal für einen kleinen Skandal: Die New Yorker Schmuckdesignerin Pamela Love hatte nämlich zuvor schon ähnliche Stücke lanciert, Chanel entschied sich schlussendlich, die gezeigten Armreifen aus Respekt vor Pamela Love nicht zu verkaufen.

Keine Hierarchie der Materialien. Eine unverkennbar eigene Linie fährt die schwedische Designerin Malin Henningsson mit ihren streng geometrischen Stücken, die teilweise mit scheinbar völlig wertlosen Steinen besetzt sind, in jedem Fall aber mit gänzlich oder nahezu unbearbeiteten. Welche Steine wertvoll sind und welche nicht, stellt Malin Henningsson freilich infrage: wenn sie etwa kleine Feldspatbrocken in der Nähe ihres Elternhauses klaubt, die später genauso ihren Platz in einem vergoldeten Schmuckstück haben dürfen wie bei anderen Schmuckmachern Edelsteine – was diesen immer ganz selbstverständlich eingeräumt wird. Dass emotionaler Wert auch ein Wert ist und sie von herkömmlichen Hierarchien der Materialien nichts hält, betont Malin Henningsson zusätzlich, indem sie auch solche scheinbar wertlosen Steine mit genauen Infos wie Herkunftsangaben versieht. In ihrem Onlineshop steht dann also etwa: „Der Feldspat wurde in einer offenen Mine aus dem 19. Jahrhundert in Malins Kindheitsgegend gefunden.“ Keine Karat, keine Angaben zum Schliff – es geht der Schwedin um etwas anderes. Ihre Stücke haben gewissermaßen etwas Märchenhaftes, erzählen gleichsam Geschichten vom Aschenputtel und vom hässlichen Entlein unter den Steinen.

Kristallstruktur unverändert. Im Gegensatz zu Malin Henningson, die ihre Steine selbst in ganz Schweden zusammenklaubt, kaufen zwei Wiener Schmuckdesignerinnen ihre Rohmaterialien zu: Elisabeth Habig, Absolventin des Schmuckkollegs Herbststraße und eine der Protagonistinnen des Wiener Kollektivs Alja & Friends, sowie Alja Neuner selbst arbeiten gern mit unbearbeiteten Rohsteinen. Auf die Kraft der rauen Kante setzte Alja Neuner schon vor Jahren mit ihrer Kollektion „Broken Stones“. Aktuell zeigt Neuner etwa ein Collier und eine Brosche, die mit Bergkristall-Obelisken bestückt sind, welche schließlich im rechten Winkel vom Körper der Trägerin ragen. Leicht martialisch, aber reine Natur.

„Wir machen das schon länger“, meint Neuner zum Trend der unbearbeiteten Steine, „aber es wird ganz offensichtlich generell mehr.“ Ihre Kollegin Elisabeth Habig spricht in diesem Zusammenhang von „Sehnsucht nach Ursprünglichem“. Habig verarbeitet etwa einen Pyrit, einen chromschwarz glänzenden Stein mit würfeliger Kristallstruktur, oder einen Epidot mit charakterstarken „Nadeln“. Zuerst legt die Schmuckgestalterin den Steinen einen Plastilinmantel um und spielt mit dem flexiblen Material, bis sie eine spätere Ringform gefunden hat, die zum Stein passt. Dann wird anhand der Plastilinform ein Wachsmodell geformt, das schlussendlich aus Silber gegossen und zum Teil geschwärzt wird. Wenn sie über diese Arbeiten spricht, verwendet sie nicht das Wort Stein, sondern Mineral. Daran wird man sich gewöhnen müssen.

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