Longchamp: Sinn für das Feine

Aufgeschlossen. Seit 2006 designt Delafontaine Longchamp-Mode.
Aufgeschlossen. Seit 2006 designt Delafontaine Longchamp-Mode.(c) Beigestellt
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Sophie Delafontaine hat Longchamp zur Modemarke gemacht und sieht Spielraum für Neues in Paris.

Als Betätigungsfeld für angewandte Markengenetik, oder wie man die Disziplin auch nennen mag, bietet die Mode einen fruchtbaren Boden. Da ist so oft und häufig und süffig von der DNA dieses oder jenes Maison die Rede, dass die sprichwörtliche Doppelhelix zu rotieren vermöchte. Oft ist ja der Name einer Luxusmarke schon ein ganz guter Ansatzpunkt – aber nicht immer. Man besehe nur das Beispiel Longchamp: Man hat nämlich weder mit der berühmten Pferderennbahn bei Paris zu schaffen, dem Hippodrome de Longchamp noch eine sonstige equestrisch geprägte Vergangenheit. Es handelte sich, DNA hin oder her, einfach um einen gelungenen Branding-Coup des Firmengründers Jean Cassegrain. Das erste Erzeugnis waren keineswegs Pferdesattel, sondern Lederpfeifen; es folgten Reisegepäck und Herrentäschchen. Erst in den Siebzigerjahren wurde das Sortiment allmählich femininer (übrigens auf Nachfrage aus Fernost). Der Rest ist zeitgenössische Modegeschichte, vor allem das Anfang der Neunzigerjahre lancierte Taschenmodell „Le Pliage“ wurde zum Dauerbrenner im Markensortiment – und zum stabilen Kassenschlager, auf den sich ganz gut aufbauen lässt und der sogar das Gefallen einer nicht vordergründig modeaffinen Polit-Prominenten wie Angela Merkel findet.

Von der Pike auf. „Natürlich ist es ein großes Glück für uns, Angela Merkel zu unseren Kundinnen zählen zu können. Andererseits macht das Longchamp aus: Dass eine Frau wie sie etwas bei uns findet, aber auch ein It-Girl wie Alexa Cheung“, sagt Sophie Delafontaine im Pariser Showroom der Marke. Sie ist Enkelin von Jean Cassegrain und seit ihrem Eintritt in das Familienunternehmen mit dem Auf- und Ausbau der eigentlichen Mode-Expertise betraut. Taschen gut und schön, aber – siehe Louis Vuitton, wo man unglaublicherweise auch erst sein zehn Jahren Mode macht – zur Komplettierung des Portfolios braucht es doch auch ein wenig Prêt-à-porter.

Klares Profil. Die Kollektionen sollen der typischen Longchamp-Kundin gefallen.
Klares Profil. Die Kollektionen sollen der typischen Longchamp-Kundin gefallen.(c) Beigestellt

Nun ist Madame Delafontaine aber nicht aus heiterem Himmel auf die Idee verfallen, als heiteren Passe-temps ein paar Kleider zu den Taschen zu entwerfen. Vielmehr hat sie ordnungsgemäß ein Studium an der reputierten Esmod-Modeschule in Paris absolviert („Die Modeausbildung ist dort sehr gründlich und genau – aber auch sehr theoretisch“) und danach Berufserfahrung bei Bonpoint gesammelt. Kindermode zu entwerfen, sagt Delafontaine, sei immer schon ihr Traum gewesen, außerdem handle es sich dabei um eine besonders lehrreiche Aufgabe: „Bei Kindermode muss man extrem genau sein und ein ausgezeichnetes Gefühl für Proportionen haben, sonst geht alles schief. Jeder Knopf muss auf den Millimeter genau sitzen.“

Als sie dann genug Erfahrung „en miniature“ gesammelt hatte, zog es Delafontaine zurück zu Longchamp, wo sie sich zunächst mit dem Ausbau der Taschenkollektionen spielte. „Als ich anfing, war das wichtigste Charakteristikum unserer Taschen ihre Funktionalität. Im Schnitt gab es zwei Farbvarianten für den Sommer, zwei für den Winter.“ Sie war es dann, die mit neuen Formen experimentierte, die Materialien aus dem Prêt-à-porter in die Kollektionen einbrachte. Das war zwar gewagt für eine Marke, die in erster Linie für eine faltbare Nylontasche bekannt war, wurde von den Kundinnen aber gut aufgenommen. „Außerdem ist mein Vater ein wirklich außergewöhnlicher Mensch, der uns, seinen Kindern, vertraut. Er ist selbst sehr kreativ und offen für Neues.“

Alles in Bewegung. Der nächste große Schritt folgte vor zehn Jahren: Als 2006 der Flagship-Store im New Yorker Soho-Viertel eröffnet wurde, fand Delafontaine ihn viel zu groß, um dort nur Taschen zu verkaufen. „Anfangs waren es nur ein paar Teile, die ich entworfen habe, um die Ladenfläche aufzufüllen. Dann wurden es aber mit jeder Saison mehr, und mittlerweile ist schon eine richtig umfangreiche Kollektion entstanden.“ Zu den Kleidungsstücken kamen später auch Schuhe, sodass das Angebot von Longchamp heute jenem einer hundertprozentigen Modemarke entspricht.

Soho, NYC. Das Prêt-à-porter wurde mit diesem Store lanciert.
Soho, NYC. Das Prêt-à-porter wurde mit diesem Store lanciert.(c) Beigestellt

Das Einzige, ließe sich einräumen, was noch fehlt, ist ein vollwertiger Runway-Slot bei einer der wichtigen Modewochen. Derzeit defiliert Longchamp nicht, doch angesichts der großen Veränderungen, die die Branche durchläuft, besteht auch hier Veränderungspotenzial: „Es ist nicht gesagt, dass wir nie eine Modeschau machen werden, aber ich finde, man muss sich genau anschauen, wie sich die Dinge entwickeln“, sagt Delafontaine. Die allzu große Show, das übertriebene Schaugehabe – das sei weder Ihres, noch passe es zu Longchamp, unterstreicht sie und ergänzt: „In Paris und den anderen Modestädten herrscht gerade viel Bewegung; einige Häuser suchen neue Designer, andere orientieren sich neu. Ich finde das aufregend; es ist gut und wichtig für uns alle. Denn das gehört dazu, in der Mode geht es ja um ständige Veränderung, das darf man nicht aus den Augen verlieren.“ Neue Impulse nützen dem gesamten Sektor, sagt Delafontaine, die übrigens auch der Jury des wichtigen Andam-Preises für Nachwuchsdesigner angehört. Vor Neuem scheut sie jedenfalls nicht zurück, schließlich hat Sophie Delafontaine selbst sensibel, aber beherzt in die DNA ihres Familienunternehmens eingegriffen.

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