Geschlechtsneutrale Vornamen: Sie nennen sie Max

Namen sind heute mehr denn je bestimmten Moden unterworfen. Derzeit beliebt sind besonders kurze Namen und Namen aus beliebten Serien.
Namen sind heute mehr denn je bestimmten Moden unterworfen. Derzeit beliebt sind besonders kurze Namen und Namen aus beliebten Serien. (c) REUTERS (MICHAELA REHLE)
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Chris, Jordan und Kim. Immer mehr Eltern geben ihren Kindern geschlechtsneutrale Vornamen. Um etwa deren Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu steigern.

Anna und Lukas sind jedes Jahr wieder ganz vorn dabei. Seit 1996 gehören diese Namen zu den beliebtesten in Österreich. Die ewigen Sieger, darunter auch Tobias oder Sophie, verbergen freilich, was sich auf den hinteren Rängen tut. Jede Generation hat ihre Favoriten. Dass der englische Name Kevin ab 1990 auch im deutschsprachigen Raum häufiger vorkam, hat auch mit dem Erfolg der Komödie „Kevin allein zu Haus“ und Hauptdarsteller Macaulay Culkin zu tun. Und heute sprechen Namensforscher in den USA längst vom „Netflix-Effekt“ und meinen damit die steigende Zahl an Babynamen, die auf beliebte Serien zurückgehen. Fans des Fantasy-Dramas „Game of Thrones“ nennen ihre Kinder Arya oder Tyrion, und seit 2013 häufen sich die Namen Frank und Claire – so heißt das Präsidentenpaar Underwood in dem Politthriller „House of Cards“.

Nomen es Omen – dieses lateinische Sprichwort hat tatsächlich einen wahren Kern. Glaubt man Namensforschern, ist es nicht egal, wie man seine Kinder nennt. In einem amerikanischen Namensratgeber findet sich sogar der Rat an Eltern, Mädchen einen männlichen Vornamen zu geben, das garantiere mehr Erfolg.

Besser kurz als lang. Seit Kurzem lässt sich ein neuer Trend beobachten: Immer mehr Eltern geben ihren Kindern geschlechtsneutrale Namen. Bei Babys, die mit beiden Geschlechtsmerkmalen zur Welt kommen, zeugt das von Fortschrittlichkeit und dem Wunsch, es dem Kind zu überlassen, mit welchem Geschlecht es später einmal leben will. Aber sonst? Genaue Gründe für den Trend kennt auch Namensforscherin Gabriele Rodríguez nicht. Aber die Expertin der Deutschen Gesellschaft für Namenforschung an der Universität Leipzig bestätigt, dass die Zahl der Babys mit geschlechtsneutralen Namen zunimmt. Franzi, Fritzi, Conny, Andrea, Nikita, Max sind heute sehr beliebte Namen – und zwar sowohl für Buben wie auch für Mädchen. Wobei die Unisex-Namen nicht immer im Pass stehen, sondern manchmal einfach von den Eltern im Alltag bewusst verwendet werden. So haben Facebook-Gründer Mark Zuckerberg und seine Frau Priscilla ihrer Tochter den Namen Maxima gegeben, sie der Welt aber als Max vorgestellt. Da zeige sich gleich noch eine neue Mode, sagt Namensforscherin Rodríguez: Die Namen werden heute immer kürzer – und häufig erst in ihrer Kurzform geschlechtsneutral, so zum Beispiel bei Chris (Kurzform für viele Namen von Christopher bis Christine) oder Kim (Kimberley, eigentlich weiblich). Auch dadurch würden sich Namen, die früher eindeutig einem Geschlecht zuordenbar waren, verwässern.

Das ist zu einem großen Teil auch dem popkulturellen Einfluss geschuldet und der Namenskultur im weniger katholisch geprägten, amerikanischen Raum, in dem man seltener auf Heilige als Namensgeber zurückgreift. Auch in Deutschland und Österreich werden immer häufiger englische Namen vergeben – was ebenso (nicht immer, aber manchmal) Hinweis darauf sein kann, dass Eltern ihren Kindern eine internationale Karriere erleichtern wollen.

Oh Nikita! Elton John machte mit seinem Lied „Nikita“ den eigentlich für Männer gedachten russischen Vornamen auch für Mädchen möglich. Die ursprünglich männlichen Vornamen Jordan, Ashley oder Harley werden heute in den USA ebenso als weibliche Vornamen geführt. Hinzu kommen ländertypische Unterschiede: Kim wird in Deutschland eher als Mädchenname geführt, im asiatischen oder russischen Raum ist es ein Vorname für Männer. Das Gleiche gilt für den italienischen Männernamen Andrea, der nicht nur im deutsch- und englischsprachigen Raum eindeutig Frauen zuzuordnen ist. Astrid ist im Kosovo ein Männername, in Österreich eindeutig weiblich und in den USA aktuell einer der beliebtesten Mädchenvornamen. Mischa, Kolja, Sascha sind in der Regel männlich, werden im Englischen und Deutschen aber als Mädchennamen vergeben. Und was kaum bekannt ist: Lisa, die Kurzform für Elisabeth, ist in manchen Teilen Afrikas ein Männername. Übrigens, die weltweit beliebtesten Männernamen sind Mohammed und John.

Mehr Namen im Süden. Die Tendenz, einem Kind zwei oder mehr Namen zu geben, ist übrigens nicht sehr ausgeprägt. 60 Prozent aller Menschen haben nur einen Vornamen, sagt Namensforscherin Rodríguez. Im Süden Europas haben die Menschen tendenziell mehr als einen Vornamen, das hänge auch damit zusammen, dass noch mehr Taufnamen oder Namen der Großeltern vergeben werden. Auch die Bildung ist entscheidend: „Höher gebildete Eltern geben längere Namen und mehrere.“ Umgekehrt geben eher bildungsferne Eltern (oder Prominente, die sich nicht um Konventionen kümmern) Doppelnamen wie Chayenne-Blue.

Bei den vielen Möglichkeiten steigt die Unsicherheit. Die Anfragen, ob ein Name eindeutig einem Geschlecht zuzuordnen ist, würden sich häufen, so die Namensexpertin. Jüngst werde oft nach Jonte gefragt, einem niederdeutsch-friesischen Namen, der bislang eher männlich geführt wurde. Im internationalen Handbuch der Vornamen, mit dem deutsche Standesämter arbeiten, wird er aber als männlich und weiblich angezeigt. In Deutschland muss bei der Eintragung von Vornamen noch das Kriterium der „Geschlechtseindeutigkeit“ erfüllt sein. Rodríguez glaubt, das werde bald fallen, in Frankreich und den Niederlanden sei das heute schon irrelevant. Das Namensrecht in Österreich ist übrigens strenger als in Deutschland. Neubildungen von Namen sind in Österreich nicht möglich, in Deutschland schon, solange der Name dem Kind nicht schadet.

Baby Naming

Ein neuer, etwas mysteriöser Geschäftszweig hat sich etabliert. Unternehmen wie My Name for Life oder die Schweizer Namens- und Werbeagentur Erfolgswelle versprechen werdenden Eltern maßgeschneiderte Namen für ihre Kinder. Letztere nennt sich selbst einen „Pionier im Baby Naming“. Auf der Website der Agentur heißt es: „Möchten Sie für Ihr ungeborenes Kind einen Namen finden, den noch kein anderes trägt? Einen wundervollen Vornamen, der so schön klingt, dass man ihn einfach erfinden musste? Einen brandneuen Namen mit spannender Herleitung und unverwechselbarer Geschichte?“ Die spannende Herleitung und die Geschichte wird praktischerweise gleich mitangeboten. Kinder sollen so den „perfekten Namen“ bekommen, der ihnen im späteren Leben, etwa auch im Berufsleben, helfen kann.

Wie die "Presse" berichtete, kostet so ein "Naming" mehr als 20.000 Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.05.2016)

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