Die Sklaven des 21. Jahrhunderts

Mehr als 18 Millionen moderne Sklaven leben in Indien – absolut ist das weltweit die höchste Zahl.
Mehr als 18 Millionen moderne Sklaven leben in Indien – absolut ist das weltweit die höchste Zahl.(c) Bloomberg (Dhiraj Singh)
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Weltweit sind 45,8 Millionen Menschen versklavt, zeigt eine Studie – zwei Drittel davon in Asien. Flucht und Migration können 2016 zu einem Anstieg von Opfern auch in Europa führen.

Wien. Eingesperrt in einen dunklen Raum kauern sie, ängstlich wartend auf ihre Freier. Den Sex mit den Unbekannten zu verweigern trauen sie sich selten: Ungehorsame werden körperlich hart bestraft, dürfen ihre Zelle nicht verlassen, bis sie ihren Körper wieder verkaufen. Doch auch Angehörige müssen büßen: „Meine Familie steht unter Todesgefahr. Auch mit rechtlichen Schritten drohen sie uns“, erzählt der Ehemann einer Betroffenen. Mehr als 18 Millionen Menschen in Indien teilen gleiche oder ähnliche Schicksale wie die Zwangsprostituierten: Sie sind Opfer moderner Sklaverei.
In ganz Asien sind es gar 30,4 Millionen Menschen – zwei Drittel der Sklaven weltweit, schreibt die Menschenrechtsorganisation Walk Free Foundation in ihrem Globalen Sklaverei-Index.

1500 in Österreich betroffen

Die „Niedrigsten“ einer Gesellschaft, wie Migranten, Minderheiten und Frauen, sind besonders betroffen. Sie werden zur Arbeit in Land-, Bauwirtschaft, Nahrungsmittel- und Textilindustrie gezwungen, müssen ihre finanziellen Rückstände in Schuldknechtschaften abarbeiten, werden zwangsverheiratet, in privaten Haushalten geknechtet, als Sklaven geboren, als Kindersoldaten verkauft oder sexuell ausgebeutet. Es sind Umweltzerstörung, Naturkatastrophen, Krieg, fehlende Rechtsstaatlichkeit, Ungleichheit sowie schlechte Bildungs- und Jobchancen, die Menschen angreifbar machen. In Nordkorea ist es der Staat, der seine Bürger in Arbeitslagern versklavt.

Weltweit wurden 2015 45,8 Millionen Menschen unterjocht. Damit leben zehn Millionen Menschen mehr in moderner Sklaverei als angenommen. Das liege an verbesserten Forschungsmethoden: Für die Studie befragte Walk Free 42.000 Menschen in 25 Ländern.

Die Umfrage repräsentiere 44 Prozent der globalen Bevölkerung. Mit einem Kriterienkatalog münzt der Index die Anfälligkeit für Sklaverei auch auf Länder um, die nicht direkt in die Umfrage eingebunden worden sind.

Die Zahl der Betroffenen könne 2016 steigen, schreibt Walk Free: Flucht und Migration machen Menschen verwundbar für alle Formen von Unterdrückung. Das zeigt sich auch in Europa. Hier (ausgenommen Russland) sind 1,2 Millionen Menschen Opfer moderner Sklaverei – 1500 davon angeblich in Österreich.

Am häufigsten sind im europäischen Raum Zwangsarbeit und sexuelle Ausbeutung. Von Menschenhandel gefährdet sind vor allem Osteuropäer, darunter Frauen aus Rumänien: Sie werden von Bekannten, Freunden und Familie als Sexsklavinnen verkauft.

Transparente Produktion

Die Flüchtlingskrise aber habe neue Schlupflöcher für kriminelle Organisationen geschaffen, warnt der Bericht. Für sie sind die mehr als eine Million Migranten, die seit vergangenem Jahr ihr Glück in Europa suchen, ein gefundenes Fressen.

Für Entsetzen sorgte etwa ein Europol-Bericht über 10.000 verschwundene Flüchtlingskinder. Die EU-Polizeiagentur warnte vor Banden, die es auf die Kinder abgesehen haben. Immer wieder berichten NGO auch, wie mittellose Flüchtlinge von Schmugglern und Grenzbeamten für ihr Weiterkommen zu sexuellen Gegenleistungen gezwungen werden.

Walk-Free-Gründer Andrew Forrest sieht Regierungen und Unternehmen im Kampf gegen Sklaverei in der Pflicht. Er fordert Gesetze, die Organisationen für die Unterjochung in ihren Lieferketten verantwortlich machen und Transparenz fördern. „Wirtschaftsführer, die der Realität ihrer eigenen Lieferketten nicht ins Auge sehen wollen, sind töricht und verantwortungslos.“

Fortschritte in Indien

Mit rechtlichen Schritten hervorgetan hätten sich bisher die Niederlande, die USA und Großbritannien. Selbst Indien habe bedeutende Fortschritte gemacht. Versklavung könne ausgemerzt werden, ist er überzeugt. „Sklaverei ist nicht Aids oder Malaria. Da Menschen sie verursacht haben, können wir sie auch bekämpfen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.06.2016)

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