Vor 40 Jahren: Eine Brücke fiel in die Donau

Unglaublich, aber wahr: die Reichsbrücke am Morgen des 1. August 1976.
Unglaublich, aber wahr: die Reichsbrücke am Morgen des 1. August 1976. (c) APA (ARTINGER Guenter)
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Am 1. August 1976 gab frühmorgens die alte Reichsbrücke ihren Geist auf. Ein Schauspiel für die Wiener, eine Katastrophe für den Verkehr, eine Chance für Neues.

Am Sonntag, dem 1. August 1976, war der Busfahrer der Wiener Verkehrsbetriebe, Walter L., etwas zu spät aufgestanden. In aller Eile setzte er sich im Betriebsbahnhof Floridsdorf in seinen Gelenkbus und beschloss, eine Abkürzung zu nehmen. Über die Reichsbrücke.

Um 4.53 Uhr ist der leere Bus mit seinem Lenker in der Mitte der Brücke über die Donau. Wie von Zauberhand sinkt das Bauwerk in sich zusammen, die beiden Außenteile plumpsen schräg ins Wasser, ein Pylon fällt stromaufwärts und beschädigt das Heck eines dort ankernden Passagierschiffes. Die Erschütterungen sind so stark, dass man sie auf der Erdbebenstation der Hohen Warte erstaunt registriert.

4.53 Uhr an einem Sonntag: Nur vier Fahrzeuge bzw. fünf Menschen waren daher auf der Brücke. Wegen einer Reifenpanne halfen gerade zwei ÖAMTC-Männer dem Fahrer eines VW-Käfers; der städtische Gelenkbus verschwand lautlos mit der Fahrbahn und stand nun hilflos im Wasser auf der traurigen Brückenruine; ein Kleintransporter versank hingegen mit seinem Fahrer. Der Busfahrer konnte gerettet werden, der VW-Lenker und die beiden Pannenhelfer rannten über die Trümmer der Brücke in Richtung Handelskai. Nur der Fahrer des Kleintransporters, ein ORF-Bediensteter, blieb verschwunden. Erst tags darauf fand man seine Leiche.

Schon ab fünf Uhr nach den ersten Radionachrichten pilgerten die ersten Schaulustigen zur Donau, um das Unglaubliche zu begreifen. Ein Augenzeuge beschrieb den Einsturz so: „Die ganze Brücke hat sich plötzlich einen halben Meter gehoben und ist dann laut krachend auf der gesamten Länge abgesackt.“ War das ein besonders blöder Scherz? Mit eigenen Augen wollten wir das sehen! Noch nie hat ein Sonntagmorgen so viele schreibende und fotografierende Reporter auf einem Fleck erlebt.

Eine Schraube = 20 Schilling

Eine wahre Völkerwanderung setzte ein. Tausende wollten die Attraktion sehen, den im Wasser stehenden Bus, den der Volksmund innerhalb weniger Tage schon „Donaubus“ nannte. Während sich die noble „Neue Zürcher Zeitung“ über das „Brückenschauen“ mokierte, hatten Geschäftstüchtige längst einen regelrechten Devotionalienhandel aufgezogen. Schrauben und Nieten wurden an Ort und Stelle um 20 Schilling (1,50 Euro) pro Stück verkauft. Eine Trafikantin aus Kaisermühlen tätigte einen schwunghaften Handel mit rasch aufgekauften Ansichtskarten von der Brücke.

Wie konnte das passieren? Die Kiebitze und die Medien überschlugen sich schon am ersten Tag mit Vermutungen, Spekulationen, statischem Halbwissen. Hatte man nicht schon beim Bundesheer gelernt, dass die Truppe wegen der Schwingungen nie im Gleichschritt über eine Brücke gehen darf? War also der einsame Linienbus schuld, da kein sonst üblicher Autoverkehr die Schwingungen dämpfte? Waren die Brückenpfeiler nicht regelmäßig überprüft worden?

Doch darum ging es in diesen Morgenstunden gar nicht. Weil Wien Wien ist, galt es zunächst einmal, einen Schuldigen für das Brückendesaster zu finden. Für acht Uhr morgens berief Bürgermeister Leopold Gratz einen Krisenstab ein, dieser ordnete sofort die Überprüfung sämtlicher Wiener Donaubrücken an. Doch das war den Medien und der oppositionellen Wiener ÖVP natürlich zu wenig. Wer war schuld? Bald hatte man ein Opfer ausgemacht: Den Baustadtrat Fritz Hofmann, ein Floridsdorfer SPÖ-Urgestein. Doch er war am 31. Juli auf Urlaub in die Schweiz gefahren. Und blieb verschwunden.

Eine hektische Suche nach dem „schuldigen“ Stadtrat hob an. Erst am 5. August gab er ein Lebenszeichen. Er hatte die vergangenen Tage auf einer Berghütte auf dem Matterhorn verbracht. In Zermatt wurde sein Autokennzeichen von einer Dame wiedererkannt, die die Suchaufrufe in einer Schweizer Zeitung gelesen hatte. Hofmann flog nach Wien zurück, erklärte seinen Rücktritt, den Bürgermeister Gratz dankbar annahm. Ein Bauernopfer, um die Volksseele zu beruhigen.

Experten rückten aus, Gutachter, ganze Kommissionen waren am Werk, bis man nach einem halben Jahr die Ursache gefunden zu haben glaubte: Der linke Pfeiler der Brücke war nach Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 mangelhaft saniert worden, zum Teil war er nur mit Sand und unverdichtetem Beton gefüllt worden. Durch das schlechte Material sei Wasser eingedrungen, was schließlich zu dem Einsturz führte. Risse dürfte der Pfeiler schon länger gehabt haben, da er aber mit massiven Granitblöcken ummantelt war, habe man das bei allen Überprüfungen nicht feststellen können. Im ersten Halbjahr 1976 war die Brücke sechsmal untersucht worden.

Untröstlich über das Verschwinden der alten Brücke waren die Rathausmänner aber nicht wirklich. Denn mit einer modernen Donauüberquerung aus Spannbeton mit zwei Hohlkästen würde man die U-Bahn-Linie U1 vom Praterstern bis nach Kagran hinüber verlängern können. 1978 erfolgte der Spatenstich, Wien und der Bund teilten sich die Kosten, am 8. November 1980 wurde die Eröffnung mit rund zehntausend Wienern gefeiert. 50.000 Kubikmeter Beton, 3100 Tonnen Bewehrungsstahl und 2400 Tonnen Spannstahl waren verbaut worden. Und Bundespräsident Rudolf Kirchschläger hielt eine seiner beliebten philosophischen Ansprachen: „Waren auch andere Pfeiler in unserem Leben so hohl, dass sie im Morgenlicht zerbrechen können . . . ?“

Heute wird die Reichsbrücke täglich von etwa 50.000 Fahrzeugen befahren. Zu Spitzenzeiten im Sommer kommen noch einmal 4000 Radfahrer pro Tag dazu. Selbst die 25.000 Menschen, die in jedem Frühjahr beim Vienna City Marathon über die Brücke laufen, bringen diese nicht aus der Ruhe.

Und wie erging es dem unglücklichen Stadtrat Hofmann? Der Expertenbericht hatte ihn voll rehabilitiert, sodass er 1981 nochmals in die Stadtregierung eintreten konnte. Und wieder als Verkehrsreferent – nach dem ermordeten Stadtrat Heinz Nittel.

Den städtischen Linienbus, der damals mit der Brücke in die Tiefe krachte, gibt es übrigens immer noch. Er war fast unbeschädigt, nur die Front war etwas eingedrückt. Man hat ihn nach einigen Tagen mit einem Schwimmkran geborgen, nach der Reparatur stand er noch bis 1989 regulär im Einsatz. Heute kann man ihn im Wiener Straßenbahnmuseum besichtigen.

DIE VORGÄNGERINNEN

1. Reichsbrücke 1878–1937. Die eigentliche Strombrücke war 341,20 Meter lang und bestand aus vier einzelnen eisernen Gittertragwerken, die auf fünf 3,80 Meter starken Pfeilern ruhten, von denen drei im Wasser standen. Der Abstand der Pfeiler zueinander betrug 79,90 Meter. Der Bau begann im August 1872. Damals war die neu regulierte Donau noch nicht geflutet, es konnte in Trockenbauweise gearbeitet werden.

2. Reichsbrücke 1937–1976. Sie hatte eine Gesamtlänge von 1255 Metern. Die Strombrücke war mit einer Länge von 373 Metern und einer maximalen Stützweite von 241,2 Metern beim Bau die drittgrößte Kettenbrücke Europas. Sie besaß zwei Pylonen, die auf zwei Strompfeilern standen und zwei Stahlketten mit den Brückenüberbaulasten trugen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.07.2016)

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