Gerüchteküche in der Modewelt

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R = (i x a)/C. Diese Formel stellt sich als das Produkt von Brisanz des Inhalts und Vieldeutigkeit der Information, relativiert durch die Kritikfähigkeit der Beteiligten dar. In der Gerüchteküche von Insidern isst man besonders heiß.

TIPP

Und damit stehen wir auch schon vor dem Modesüppchen, das in seiner unverdünnten Form nur den wenigsten verabreicht wird. Hauptzutat ist freilich nicht die nächste Trendfarbe, sondern das „Wer kommt, wer geht, wohin und warum?“
Wer da im Streben nach Sensationsmeldungen zu weit vorprescht, verbrennt sich schon einmal die Finger: Als Ende dieses Frühjahrs eines der meistgelesenen Modeblogs das seit Monaten kursierende Gerücht „Alber Elbaz folgt Karl Lagerfeld bei Chanel“ veröffentlichte, dementierten alle Betroffenen unverzüglich. Immerhin hatte Elbaz für Lanvin soeben eine umjubelte Kollektion gezeigt und schwor dem Haus, an dem er obendrein eine Beteiligung hält, Treue.

Insider plaudern. Wie kommen also solche Informationen in Umlauf? Diane Pernet muss es wissen, setzte sie doch die Chanel-Ente in die Welt: „Solche Gerüchte entstehen meistens, weil ein Mitarbeiter oder Insider mitbekommt, dass ein Designer für ein Gespräch eingeladen wurde, oder dass er von einem Headhunter kontaktiert wurde.“ Hat das Gerede erst einmal angefangen, ist es schwer einzudämmen, wobei das Internet prächtig als weltweiter Informationsverstärker funktioniert und ungeahnte Kanäle für die am Mahlwerk der „Rumour-Mill“ Drehenden auftut.

Ein wahrer Liebling der Gerüchteköche ist derzeit Olivier Theyskens: Bis 2006 Chefdesigner bei Rochas, werkte er dann bei Nina Ricci (seine letzte Kollektion kommt eben in die Läden) und ist seit Kurzem beschäftigungslos. Sofort sahen ihn einige als neuen Kopf von Hals­ton in New York (den Job bekam hingegen der Austro-Zypriote Marios Schwab), andere waren sicher, er werde Elbaz bei Lanvin nachfolgen (doch wurde der Posten ja nicht frei). Wieder andere lesen im Sud, dass Tod’s-Gründer Diego Della Valle die Rechte an der Marke Elsa Schia­parelli (Cocos größte Widersacherin, die ihr Haus 1954 schließen musste) erworben habe und mit Olivier Theys­kens einen Relaunch der Marke plane. Dem wird wieder entgegnet, dass Schiaparelli erst 2011 starten soll, die Wartezeit für Theyskens eine zu lange wäre und man sich ohnehin lieber Giles Deacon aus London holen würde. Aus gut informierten Pariser Kreisen hört man wiederum, dass der Funkeltattoo-Guru Christian Audigier in die Fußstapfen der formidablen Elsa treten werde.

Spannung ist auch in jenen Häusern angesagt, die besonders schleudersitzaffin sind: Gerüchtefans machten sich in den letzten Jahren ungeachtet der Qualitäten des jeweiligen Chefdesigners der Kaschmir-Casa Malo unablässig Gedanken über mögliche Nachfolger. 2006 startete Malo unter Fabio Piras mit Défilés in New York, sogleich folgten Aquilano/Rimondi, 2008 durfte Alessandro Dell’Acqua ans Werk – bis im Frühjahr 2009 mangels ­Kapitals das Aus der Prêt-à-porter-Kollektion verlautbart wurde. Ein anderes Haus, über das seit dem – zunächst gerüchteweise verlautbarten – Weggang des namengebenden Chefdesigners verstärkt gesprochen wird, ist die Maison Martin Margiela.

Haider Ackermann, vernimmt man, könnte ihm nachfolgen. Diane Pernet winkt allerdings ab: „Ich sehe das nicht als Idealkombination. Wenn ich Rochaden vornehmen könnte, würde ich Haider bei Armani unterbringen, wo er einen tollen Job machen würde. Dazu wird es aber nie kommen, weil Armani nur einen Italiener will.“

Spekulationen. So unterhaltsam sie sein mögen, Gerüchte haben auch eine destruktive Seite. Wenn angesichts der Spritzigkeit von Gareth Pugh spekuliert wurde, LVMH könnte ihn an die Spitze von Dior Homme hieven, implizierten solche Mutmaßungen zugleich den Hinauswurf von Kris van Assche: auch nicht die feine englische Art. Auf das aggressive Potenzial von Gerüchten verweist die Künstlerin Andrea van der Straeten, die in ihren Arbeiten wiederholt diese soziale Realität ästhetisch kanalisierte: „Gerüchte gehören zu unserer mündlichen Kommunikation; sie können eine sehr zerstörerische Kraft entwickeln, nicht nur in Einzelschicksalen, sondern auch in weiteren sozialpolitischen Kontexten.“ Die Verbreitung einer nicht verifizierbaren Information kann für die Betroffenen natürlich schlimme Folgen haben.

Woher rekrutieren aber Insider die Dramatis Personae ihrer gerüchteweisen Postenschacher? Wichtige Anlaufstelle für „Rumour-Planting“ sind zweifellos die Abschlussmodenschauen renommierter Ausbildungsstätten wie Central Saint Martins oder nationale Nachwuchsförderprogramme, etwa der seit drei Jahren bestehende „Incubatore della moda“ in Italien – ein „Talentbrutapparat“. Noch bedeutender sind internationale Preise für Jungdesigner: Eine echte Institution ist das Modefestival von Hyères, und als Fundgrube erweist sich der Schweizer Stella Award. Unter den alsbald rekrutierten Gewinnern: Raf Simons (2003, 2005 zu Jil Sander), Bruno Pieters (2006, 2007 zu Hugo Boss), Marios Schwab (2007, 2009 zu Halston). Heuer findet sich unter den Finalisten übrigens der Exilösterreicher Peter Pilotto: Man darf gespannt sein.

Jenseits all dessen ist es nicht uninteressant, von Designerseite in Erfahrung zu bringen, was die Erfüllung kursierender Gerüchte durch den Ruf an die Spitze eines Hauses bedeuten kann. Ute Ploier seit ihrem Gewinn in Hyères 2003 und als Stella-Finalistin 2007 zweifellos ein Name, der in einschlägigen Gesprächen immer wieder fällt. Bei aller Zuversicht nimmt sie diese Art von Herausforderung als ein zweischneidiges Schwert wahr: Aus finanziellen Gründen und jenen des Prestiges sei ein Designerposten bei einem großen Haus fraglos erstrebenswert. „Andererseits birgt die Situation auch ein ­Risiko. Wenn man in so einer Position versagt, zieht das einen Imageschaden nach sich, der nicht so schnell wieder gutzumachen ist.“ Und doch arbeiten viele Jung­designer hartnäckig auf einen Grad der Wahrnehmbarkeit hin, der sie zum Zwecke solchen Entdecktwerdens überhaupt ins Gespräch bringt. Und so lebe das Gerücht: Besprochenwerden ist schließlich im neuheitsgierigen Modezirkus sehr viel wert.

Gerüchte zum Lesen

Über die Instrumentalisierung von Gerüchten in US-amerikanischen Rumor-Clinics, während des Kalten Krieges reflektiert Andrea van der Straeten in ihrem vom Buchhandelsverband als einer der schönsten Titel des Jahres ausgezeichneten Band „Lauter Flüstern/Whispering Louder“ (Schlebrügge 2008).

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