Ethno: Das Gewand der anderen

Cuba libre. Die jüngste Métiers-d’art-Kollektion von Chanel nahm Kurs auf Havanna.
Cuba libre. Die jüngste Métiers-d’art-Kollektion von Chanel nahm Kurs auf Havanna.(c) Olivier Saillant
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Anleihen bei Trachten anderer Kulturen gibt es in der Mode seit Paul Poiret. In der Gegenwart sind Ethno-Anleihen freilich mit Fingerspitzengefühl zu handhaben.

Auf der Piazza vor der San-Gregorio- Armeno-Kirche, im Herzen der Altstadt von Neapel, inszenierte Anfang Juli dieses Jahres das italienische Designerduo Domenico Dolce und Stefano Gabbana das Defilee für seine Alta-Moda-Herbstkollektion. Wenige Tage, nachdem in Paris die exklusiven Präsentationen der Haute-Couture-Kollektionen stattgefunden hatten, veranstaltete das Duo ein barockes Modespektakel, um den dreißigjährigen Bestand des Labels zu feiern. Zum Auftakt spielte eine Marschkapelle den Napoli-Smash-Hit „Funiculi, Funiculà“, und die Dolce-&-Gabbana-Muse Sofia Loren bewunderte von einem goldenen Thron in der ersten Reihe die modischen Ausschweifungen auf dem Laufsteg.

Die Kollektion war, ganz charakteristisch für das Label, eine große Hommage an Neapel und Süditalien: Dolce und Gabbana zitierten Elemente aus der katholischen Ikonografie wie Kreuze und Madonnendarstellungen in Drucken, Ornamenten und Heiligenschein-kopfschmuck, griffen mit Pulcinella-Hosen und Maradona-Fußballtrikots aus Seide historische und zeitgenössische Motive aus der neapolitanischen Volkskultur auf und zelebrierten Sofia Lorens filmische Verkörperung italienischer Weiblichkeit mit figurbetonten Silhouetten, schwingenden, bunt bedruckten Ballkleidern und sexy Bleistiftröcken. Domenico Dolce und Stefano Gabbana greifen seit den Achtzigerjahren systematisch auf das ästhetische Reservoir des italienischen Kollektivbewusstseins zurück und haben die karikaturhafte Überzeichnung der Italianità zu ihrem Markenzeichen gemacht.

Folklore. Souvenir-Looks aus der Sommerkollektion von Dolce & Gabbana.
Folklore. Souvenir-Looks aus der Sommerkollektion von Dolce & Gabbana.(c) beigestellt

In einer globalisierten Welt, in der klar definierte nationale Zugehörigkeiten zunehmend an Bedeutung verlieren und von einer Vermischung nationaler und ethnischer Identitäten ersetzt werden, schwelgen Dolce und Gabbana in Nostalgie der klaren nationalen Identifikationsbilder. Die ironische, theatralische Rückbesinnung auf nationale modische Codes ist fixer Bestandteil der High-Fashion-Modesprache. Zu den Vertretern dieses Stils zählen auch Designer wie Jean-Paul Gaultier, Sonia Rykiel oder Vivienne Westwood, die mit endlosen Variationen von Breton-Shirts, Baskenmützen und Tartanmustern Visionen französischer oder britischer Mode-Identität evozieren.

Fantasiefolklore. Allerdings handelt es sich bei ihren Entwürfen selten um eine kostümgeschichtlich genaue Replik regionaler oder nationaler Trachten, sondern vielmehr um eine postmoderne Montage kitschiger und klischeehaft überzeichneter nationaler Insignien. Aus der Konnotation von französischem Chic, italienischer Eleganz oder britischer Exzentrik schlagen diese Labels ihr größtes Kapital, und zwar über nationale, kulturelle und sogar religiöse Grenzen hinweg.

Dolce und Gabbana etwa buhlen seit vergangenem Winter mit ihrer farbenfrohen Abaya-Kollektion auch um die Aufmerksamkeit modebewusster Musliminnen auf den wachsenden Märkten im Mittleren Osten und Südostasien. Donna Karan und der japanische Fast-Fashion-Riese Uniqlo tun es dem italienischen Label gleich, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis ihnen andere Designer folgen werden. Westliche Luxusmodelabels passen sich also allmählich an die modischen Bedürfnisse der Kundinnen aus jenen Ländern an, deren Bekleidungstraditionen der Mode seit dem frühen 20. Jahrhundert als nie versiegende Inspirationsquelle dienen.

Bretonische Couture. Jean-Paul Gaultier ist ein Meister im Spiel mit Stereotypen.
Bretonische Couture. Jean-Paul Gaultier ist ein Meister im Spiel mit Stereotypen.(c) beigestellt

Der große Couturier Paul Poiret ist als früher Apologet orientalistischer Tausendundeiner-Nacht-Fantasien in die Geschichte der Mode eingegangen. Nachdem er 1910 die Ballettpremiere des Stücks „Schéhérazade“ gesehen hatte, war er so sehr von den Kostümen von Léon Bakst angetan, dass er selbst zwischen 1911 und 1913 Haremhosen, mit Edelsteinen verzierte Turbane und extravagante Tuniken lancierte. In den Sechziger- und Siebzigerjahren fand der sogenannte Ethnolook endgültig Eingang in das westliche Moderepertoire, als Tausende sinnsuchende Hippies aus Europa nach Marokko, Tunesien und Algerien und auf dem berüchtigten Hippietrail über die Türkei in den Iran, nach Afghanistan, Pakistan, Nepal, Indien, Bangladesch und Thailand reisten.

Diffuse Klischees und Sinnbilder. Von ihren Selbstfindungstrips kamen sie mit Kaftanen, Jellabas, Abayas, Sarouel-Hosen, Tuniken, Sarongs und Batikstoffen im Gepäck zurück ,und es dauerte nicht lang, bis der Ethnolook der Hippies auch von Modedesignern aufgegriffen und adaptiert wurde. Zunächst verbreitete sich der neue Stil in London dank Designern wie Zandra Rhodes, Ossie Clarke und Barbara Hulanicki und schließlich auf den Laufstegen in Paris und Florenz, wo etwa Emilio Pucci und Roberto Cavalli den Ethnolook für den internationalen Jetset salonfähig machten.

Yves Saint Laurent ließ sich in den Siebzigerjahren für seine legendäre Ballets-russes-Kollektion (Herbst 1976) von kaukasischen und tatarischen Bauerntrachten und – genauso wie Poiret 60 Jahre zuvor – von den Ballettkostümen des russischen Bühnenbildners Léon Bakst inspirieren.

Seit den Achtzigerjahren etablierte sich indessen die Strategie, auf den Fundus diverser nationaler, ethnischer und regionaler Folklore- und Bekleidungstraditionen zurückzugreifen und mit neuen Elementen zu kombinieren, zu einem bleibenden Stil, angeführt von der blühenden Fantasie von Jean-Paul Gaultier, aber auch von Designern wie etwa Romeo Gigli, Etro, Kenzo und John Galliano (in seiner Dior-Ära) und später Antonio Marras und Riccardo Tisci.

Fremdgehen. Ein Emblem wie der Union Jack geht immer – hier in der Cruise-Kollektion von Gucci.
Fremdgehen. Ein Emblem wie der Union Jack geht immer – hier in der Cruise-Kollektion von Gucci.(c) REUTERS (NEIL HALL)

In den vergangenen Saisonen stand der Folkloretrend wieder hoch im Kurs, man denke an die in Salzburg präsentierte Métiers-d’art-Kollektion von Chanel, die von den Trachten ihrer russischen Heimat beeinflussten Couture-Kollektionen von Ulyana Sergeenko oder auch die jüngste Sommerkollektion von Valentino, in der Maria Grazia Chiuri und Pierpaolo Piccioli mit geometrischen Ornamenten, extravaganten Federverzierungen, perlenbestickten Stoffen und martialischem Schmuck ein diffuses Afrika-Klischee zitierten.

Anders als in der Vergangenheit müssen sich Designer heute jedoch einer globalen kritischen Öffentlichkeit stellen und werden nicht nur für die Perpetuierung neokolonialer Stereotypen kritisiert, sondern auch zur Rechenschaft gezogen, wenn sie sich mit ihren Kreationen zu nahe an traditionellen Originalentwürfen bewegen.
So wurde etwa die französische Designerin Isabel Marant im Juni 2015 von Frauen aus der Tlahuitoltepec-Community im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca zu Entschädigungszahlungen aufgefordert, da sie in ihrer Frühjahr/ Sommer-2015-Kollektion das Design der traditionellen Tlahuitoltepec-Bluse für eine Tunika kopiert hatte.

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