Der digitale Inspektor wacht auch in der Luft

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Themenbild(c) Clemens Fabry
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Wann bildet sich in einem Material ein Schaden? Wann bricht es? Leichtbauteile in Flugzeugen oder Autos sind oft enormen Belastungen ausgesetzt. Linzer Forscher arbeiten an Sensoren, die rechtzeitig Alarm schlagen sollen.

Auch im Himmel gibt es Gewichtsprobleme. Flugzeuge müssen möglichst leicht sein. Zugleich sollen sie aber auch stabil, sicher, umweltfreundlich und natürlich nicht zu teuer sein. „Das ist das Spannungsfeld, in dem sich der Leichtbau bewegt“, sagt Martin Schagerl. Der Maschinenbauer leitet das entsprechende Institut an der Uni Linz. In Alpbach sprach er gestern, Freitag, in einem Arbeitskreis über die Zukunft des Leichtbaus.

Was aber verbindet die Konstruktionstechnologie mit dem Motto des diesjährigen Europäischen Forums, der „Neuen Aufklärung“? Auch in seiner Disziplin hätten sich Ingenieure in den vergangenen Jahren von alten Denkmustern getrennt und neue Gedanken zugelassen, so Schagerl. Der Leichtbau kam zwar ursprünglich aus der Fliegerei – „wenn ein Flugzeug leicht ist, hebt es auch leichter ab“ –, etablierte sich aber zuletzt immer mehr im Automobilbau. Weil die Akkus in Elektroautos schwer sind, wurde Gewichtsparen immer mehr zum Thema. Ist ein Auto leichter, spart das außerdem Sprit.

Die Grenzen weiter ausreizen

Ob auf der Erde oder in der Luft: „Absichtlich schwer gebaut wurde freilich nie“, sagt der Forscher. Klassische metallische Leichtbauwerkstoffe sind Aluminium oder Titan. Die neuen Faserverbundwerkstoffe setzen sich meist aus zugfesten Fasern und einer verbindenden Schicht zusammen: Bei Carbon werden etwa Kohlenstofffasern in Kunststoff eingebettet. Der Werkstoff findet sich nicht nur in Luft- und Raumfahrt, Automobilbau oder Windrädern zur Stromerzeugung, sondern beispielsweise auch in Sportgeräten wie Tennisschlägern oder Rennrädern.

Um die Werkstoffe immer weiter auszureizen, greifen die Wissenschaftler tief in die Trickkiste der Ingenieurwissenschaften. „Leichtbau ist eine Hochleistungstechnologie. Wir wollen alles aus der Technik herausholen, die Grenzen vor uns hertreiben“, sagt Schagerl. Bei allen Entwicklungen ist jedoch Sicherheit oberstes Gebot. Denn die Materialien müssen oft enormen Belastungen standhalten. Schäden können einerseits unter Einfluss von außen, also etwa durch Steinschlag oder wenn ein Vogel an das Flugzeug prallt, entstehen. Andererseits kann das Material mit der Zeit ermüden. „Nichts ist perfekt, auch wenn es noch so hochwertig hergestellt wurde“, sagt Schagerl. So können beispielsweise Luftbläschen, die bei der Herstellung im Kunststoff entstehen, Jahre später Schäden verursachen.

Bessere Diagnose von Schäden

Während ein Riss in Metall jedoch mit freiem Auge sichtbar ist, sind Schäden in sogenannten Faserverbundstoffen schwerer zu erkennen. Die Materialien sind oft in Schichten aufgebaut: Löst sich eine, ist das von außen nicht zu sehen. Neue Diagnoseverfahren zur Erkennung von Schäden sind also gefragt. Dabei wollen die Forscher genau wissen, wie sich Werkstoffe unter Belastungen verhalten, wie und warum sich Schäden bilden. Simulationswerkzeuge am Computer ergänzen heute Berechnungen und Laborversuche.

Schagerl spricht von drei Ebenen, die die Forscher untersuchen: Erstens inspizieren sie auf der Mikroebene, wie sich Schäden im Werkstoff bilden. Auf der Mesoebene interessiert sie zweitens etwa, wie sich der Schichtaufbau des Materials unter Belastung verhält. Und drittens nehmen sie sich auf der Makroebene ein ganzes Bauteil, etwa eine Tragfläche, vor. Die unterschiedlichen Ebenen lassen sich am Computer verbinden, das erlaubt eine umfassende Analyse.

Die Vision ist, Bauteile künftig vom Computer aus „live“ im Betrieb zu überwachen. Im an Schagerls Institut angesiedelten Christian-Doppler-Labor für Strukturfestigkeitskontrolle von Leichtbaukonstruktionen arbeiten die Forscher an Sensoren, die als „digitale Inspektoren“ wirken: Piezoelektrische Sensoren schicken einen Ultraschall-„Ping“ in das Auto- oder Flugzeugbauteil. Ein Schaden reflektiert die Wellen. Eine andere Möglichkeit ist, das Material vibrieren zu lassen. Die Schwingung unterscheidet sich, wenn etwas kaputt ist. Für Militärflugzeuge gibt es solche Systeme schon, dort unterscheiden sich aber die Anforderungen: Im Ernstfall lässt sich der Jet nicht schonen.

Die Forscher arbeiten außerdem an leitfähigen Lacken: Die Leitfähigkeit ändert sich an einer beschädigten Stelle, das lässt sich mit aus der Medizin bekannten Tomografiemethoden messen. In einfacher Form stehen die Technologien schon bereit, ihr Einsatz hänge teilweise noch an Behördenvorgaben. Revolutionen seien im Leichtbau aber ohnehin nicht zu erwarten, sagt Schagerl. Eher Evolutionen. Denn wenn neue Technologien die Sicherheit betreffen, sei man eben vorsichtig.

Daher sollen die digitalen Inspektoren bisherige Überprüfungen auch nicht ersetzen, sondern nur ergänzen: Der Pilot soll also auch weiter vor dem Start um das Flugzeug gehen und nach dem Rechten sehen.

LEXIKON

Der Leichtbau kommt ursprünglich aus Luft- und Raumfahrt. Aber auch Windräder mussten schon immer leicht sein, um sich gut im Wind zu drehen. In den vergangenen Jahren greift die Automobilindustrie vermehrt darauf zurück, aber etwa auch die Sportartikelindustrie. Leichtbau- oder Faserverbundwerkstoffe verbinden zwei Komponenten: Bei Carbon etwa sorgen Kohlenstofffasern für die Festigkeit, der Kunststoff für die Formgebung. Dadurch ergeben sich Vorteile, die über die der einzelnen Stoffe hinausgehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.08.2016)

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