60 Jahre BRAVO: "Wird man vom Küssen schwanger?"

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Damit hatte keiner gerechnet: Die Zeitschrift BRAVO hat es geschafft, das Pensionsalter zu erreichen. 60 Jahre und die ätzenden Krisen der Pubertät.

Das Jahr 1956. Bleierne Zeit für Jugendliche. Den Eltern steckte der Krieg noch in den Knochen, sie wollten Ruhe, Ordnung, Wohlstandsaufbau. Opfer- und Arbeitsmoral standen hoch im Kurs, Verzichtsverhalten, Lustaskese, später nannte man die 50er „erotische Eiszeit.“ Die befreite zweite österreichische Republik steckte noch in der Windelhose. Sie hatte wie das Konrad-Adenauer-Deutschland in Anlehnung an die autoritäre Vorkriegszeit zu einem konservativen Wertekanon gefunden, der den Älteren nach den schrecklichen Jahren Geborgenheit und Halt lieferte, von den Jungen aber als überholt und repressiv gesehen wurde. Eine Stufe der Jugend-Emanzipation war die Trivialkultur, also Illustrierte, Comics, Schlagerschallplatten, von den Älteren verteufelt als „Analphabeten-Bibel“, „Ersatzreligion“, „Missionare des internationalen Infantilismus“ und „Schalldusche“.

Weg mit Micky Maus. Wer für Erziehungsangelegenheiten zuständig war, war ständig in Alarmbereitschaft: Gegen Verdummung, Sprachverwahrlosung, Abstumpfung, sittliche Gefährdung der Jugend. Sie schien sich völlig der verwerflichen „Kommerzialität“ auszuliefern und aus der gesamtgesellschaftlichen Werteordnung auszuscheren. Es drohte „ein Menschentyp von erschreckend geistiger Leere und seelischer Ödnis heranzuwachsen.“ (Zitat aus 1959). Eine Generation, die um ihre eigene Jugend betrogen worden war und mit den neuen Kulturformen und Medien nicht zurechtkam, zog zu Felde gegen Micky Maus, Jerry Cotton, Tarzan, Superman und Schlagerillustrierte. Im Kampf gegen diese „geheimen Miterzieher“ kompensierte die Kriegsgeneration ihre eigenen Scham- und Schuldgefühle. Das Anliegen, die Jugend vor dem Werteverfall zu bewahren, mag gut gemeint gewesen sein, Verbote waren jedoch seit jeher kontraproduktiv, insbesondere dann, wenn die Söhne und Töchter in die ätzenden Krisen der Pubertätszeit kamen.

Einigen Journalisten fiel Mitte der 50er Jahre auf, dass es überhaupt keine Zeitschrift für Jugendliche gab. „BRAVO“, eine „Zeitschrift für Film und Fernsehen“, erschien am 26. August 1956 erstmals zeitgleich in Deutschland und Österreich, der Kindler-Verlag wollte mit dem frechen Layout und den Themen Star-Nachrichten, Mode, Lebenshilfe, Poster und Charts junge Erwachsene erreichen, doch die ließen überraschenderweise das Produkt links liegen, während die Jugendlichen unter 20 sich darum zu reißen begannen. Hier gab es so etwas wie ein Tor in eine andere Welt. 1960 lasen bereits 15 Prozent der österreichischen Jugendlichen „BRAVO“, 1966 waren es nach einer Studie von Leopold Rosenmayr bereits 53 Prozent der Lehrlinge und 18 Prozent der Schüler in Österreich. Als der Verlag merkte, dass seine Leserschaft immer jünger wurde, wählte er den Untertitel „Die Zeitschrift mit dem jungen Herzen.“ 1958 lag die Auflage bereits bei 200.000 Exemplaren, Mitte der 60er Jahre bei über einer Million. Mit dieser Zeitschrift erhielten die „Teenager“ einen starken Verbündeten gegen die dominanten, restriktiven Eltern. Jetzt hatten sie nicht nur eigene Mode, Musik, Filme, Idole und Verhaltenscodices, sondern auch eine eigene Zeitschrift.

Von Brigitte Bardot bis Rex Gildo. Jugendliche in den österreichischen Kleinstädten und Dörfern auf dem Land lernten durch die „BRAVO“, hierzulande auch „das“ „BRAVO“ genannt, die internationalen Stars der Medienindustrie kennen, Marlon Brando, Elvis Presley, Brigitte Bardot, James Dean, Nancy Sinatra, Chuck Berry, die deutschen Ableger Peter Kraus, Conny Froboess, Rita Pavone, Rex Gildo, Roy Black, sie wurden die neuen Leitbilder und Idole der Teenager. Die neue Jugendkultur war genau genommen eine Medienkultur, der Lebensstil der Jungen wurde durch die „BRAVO“ nicht nur verstärkt, sondern geradezu initiiert. Keiner kam um sie herum. Die amerikanische Besatzungsmacht war 1955 abgezogen und doch allgegenwärtig: Im Kino mit Rock'n Roll-Filmen, mit Kaugummis, Petticoats, Blue Jeans, Pferdeschwanz, der bekannteste Werbeslogan des Jahrzehnts lautete „Mach mal Pause – Coca Cola.“ Erstmals orientierte sich das Freizeitverhalten nicht mehr an dem der Eltern, schon allein die neuen sinnlichen Tanzmoden wirkten auf die Etablierten provozierend, die Musik zu laut, die Fingernägel zu lackiert, der Lippenstift zu grell, die Haartolle der „Halbstarken“ zu fettig, und überhaupt: Was machte der anscheinend völlig verwilderte Nachwuchs eigentlich, wenn er im Sommer zu einem Schotterteich radelte, Transistorradio und „BRAVO“ im Gepäck?

Das Fernsehen steckte 1956 noch in den Kinderschuhen, die Hauptleidenschaft war das Kino, so dominierten zunächst Berichte über Filmstars und solche, die dafür gehalten wurden. Das – übrigens grottenschlecht kolorierte – Covergirl der ersten Nummer war Marilyn Monroe, garniert mit der Frage „Haben auch Marilyns Kurven geheiratet?“ (Ende Juni hatte Marilyn den Dramatiker Arthur Miller geheiratet, doch selbstverständlich gehörten ihre Kurven weiterhin der ganzen Welt!) Im Innenteil gab es ein Porträt des jungen Karlheinz Böhm („Sisi!“) und ein höchst laszives Foto von Marianne Koch, einer jungen Medizinstudentin, die gerade zu einer Schauspielkarriere wechselte (heute ist sie 85 und doch noch Ärztin geworden).

Zehn Jahre später (die Zeitschrift gehörte jetzt zum Bauer Verlag) waren die Filmstars (nach einer kurzen Winnetou - Pierre Brice - Welle) fast völlig von der Musikszene, von Schlagermusik, später von Pop und Rock verdrängt. Es kommt zum symbiotischen Verhältnis zu den Boygroups, die von ihrer multimedialen Präsenz leben. Die Schwankungen in der Auflage von „BRAVO“ in den 90ern hängen fast durchwegs mit wichtigen Ereignissen in der Musikszene zusammen. Als Sänger Robbie Williams sich 1995/96 von der Boygroup „Take That“ löste und tausende Jugendliche suizidbedroht waren, erreichte die Zeitschrift ein Hoch von 1,4 Millionen Exemplaren, er wurde erst wieder durch den Hype rund um die „Backstreet-Boys“ und „NSYNC“ 1999 erreicht.

Knigge für Verliebte. Wenn sie anfingen, mit einem Partner ins Bett zu gehen, hörten die Jugendlichen auf, „BRAVO“ zu lesen. Das musste sich nach Ansicht der Blattmacher ändern: mit einer Thematisierung eben dieses brandheißen Themas. Die Zeitschrift reagierte früh auf Trends, redaktionelle Änderungen wurden mit der Nachfrage der Leser begründet. So wurden Leserbriefe zum Thema Sex zunächst privat beantwortet, Mitte der 60er Jahre wurden solche Anfragen „immer häufiger und alarmierender“, so entschloss man sich zu eigenen Rubriken, „um damit einem allgemeinen Notstand Rechnung zu tragen.“ (Chefredakteur Gert Braun).

Waren die ersten Beraterrubriken „Knigge für Verliebte“ und „Verwirrende Probleme des Herzens“ noch recht bieder, kam man nun mit „Dr. Sommers“ Sprechstunde „Was dich bewegt“ direkter zur Sache. Die abgedruckten Leserbriefe („Kann der Penis brechen?“, „Wird man vom Küssen schwanger?“) endeten oft mit dem Schlusssatz „Meine Eltern dürfen unter keinen Umständen etwas von meinem Problem erfahren“. Leser und Schreiber konnten ihre Probleme mit denen der Altersgenossen vergleichen, es wurde ihnen klar: Sie sind nicht die Einzigen, die damit zu kämpfen haben. Für einen Zwölfjährigen, der den ersten Samenerguss hatte, war das eine echte Lebenshilfe, es ersparte das peinliche Gespräch, wenn die Eltern zur offiziellen Aufklärungsstunde baten. „Weiß ich doch alles von der BRAVO“, war dann der Satz, der für beide Seiten Erlösung von der Peinlichkeit versprach. Dr. Sommer, eigentlich Martin Goldstein, Psychotherapeut und Arzt, wurde 15 Jahre lang zum inoffiziellen Sexualpädagogen der Nation und zu einer Autoritätsfigur. Für die Erwachsenen übernahm diese Aufgabe in den 60er Jahren Oswald Kolle.

So geriet „BRAVO“ in den 70er Jahren wieder ins Visier der Kulturkritik und diesmal auch der Justiz. Der Verbotsantrag an die deutsche Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften argumentierte damit, dass „zu befürchten ist, dass durch die Lektüre das sittliche Verhalten des Kindes oder Jugendlichen von den Normen des Erziehungsstils wesentlich abweicht.“ Das war natürlich gegen die Sex-Tipps gerichtet, die angeblich zur sexuellen Überreizung und zu allzu früher Geschlechtsreife führten.

Doch viel kam nicht heraus. Es war auch schwer, dagegen zu klagen, dass Jugendliche freiwillig eine „Ersatzerziehungsinstanz“ in sexuellen Fragen gefunden hatten und zumindest vorübergehend Ratschläge akzeptierten, was sie zu Hause nicht taten, weil keine brauchbaren Antworten kamen. Doch abgesehen davon hat die „BRAVO“ keine gesellschaftlichen Massstäbe gesetzt, neunzig Prozent ihrer Leser, von denen die meisten Leserinnen waren, zeigten sich an Politik nicht interessiert. So transportierte die Zeitschrift bei Geschlechterrollen stets Stereotypien, empfahl den Mädchen „100 Tipps für eine Hammer-Ausstrahlung“ und berief sich dabei auf die vorherrschenden traditionellen Vorstellungen der Jugendlichen.

Nur noch alle zwei Wochen. Anbiederung an die Interessen ihrer Leser war ihr nicht fremd und so gibt es die „BRAVO“ heute noch, alle zwei Wochen in einer Auflage von 150.000, dazu der Ableger „BRAVO“-Girl und eine Webseite bravo.de. Die Frage, was um Himmels willen Jugendliche, die sich Schmink-, Sex-, Frisur- und Modetipps allesamt aus dem Internet holen können, dazu treibt, doch noch zu der Zeitschrift zu greifen, ist schwer zu beantworten. Foto-Love-Storys im Youtube-Zeitalter? Dr. Sommer über Intim-Rasur? Gibt es alles noch, obwohl Dr. Goldstein schon vier Jahre tot ist. Und auch die Frage: „Woran erkenne ich, ob ein Mädchen erregt ist?“, gibt es noch wie damals.

Die Probleme der Teens haben sich in 60 Jahren nicht geändert. Bemüht arbeitet das Team mit den neuen Medienrealitäten, über Whatsapp kann man abstimmen, wer interviewt werden soll und was man schon im Jahr 1956 begonnen hat, der Aufbau einer „Bravo“-Community („BRAVO-Leser als BRAVO-Reporter!“), der ständige kumpelhafte Ideenaustausch der Redaktion mit den Lesern, ist im „Social Media“-Zeitalter gerade en vogue. Doch Fixstern im Teenagerleben ist sie nicht mehr, in vielen Wiener Trafiken ist sie bereits aussortiert. Die Kids sind mit ihren Idolen längst über Twitter und Facebook direkt verbunden. Welche junge Leserin will schon vierzehn Tage warten, um zu erfahren, ob Kim Kardashian gerade platinblonde oder dunkle Haare hat?

Auf einen Blick

Das wohl berühmteste Jugendmagazin im deutschsprachigen Raum wird 60. Am 26. August 1956 erschien erstmals zeitgleich in Deutschland und Österreich „BRAVO“, eine „Zeitschrift für Film und Fernsehen“. Der Kindler-Verlag wollte mit dem frechen Layout und den Themen Star-Nachrichten, Mode, Lebenshilfe, Poster und Charts eigentlich junge Erwachsene erreichen. Doch die ließen das Produkt links liegen, während sich Jugendliche unter 20 Jahren darum zu reißen begannen. 1960 lasen bereits 15 Prozent der österreichischen Jugendlichen „BRAVO“, 1966 waren es bereits 53 Prozent der Lehrlinge und 18 Prozent der Schüler in Österreich.

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