Aleppo: „Sie wollen uns alle auslöschen“

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SYRIA-CONFLICT(c) APA/AFP/KARAM AL-MASRI
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Das Regime und Russland fliegen die schwersten Angriffe seit Kriegsbeginn gegen den Osten Aleppos. Rettungskräfte erreichen Verschüttete nicht mehr. Die Bewohner sind verzweifelt.

Für Mohammed Hamza, einen jungen Aktivisten der syrischen Revolution, ist auch die letzte Hoffnung gestorben. „Wir werden Aleppo nur als Märtyrer in den Himmel verlassen“, schrieb er der „Presse“ über einen Internetnachrichtendienst. Flüchten aus der Stadt will er aber keinesfalls. „So viele Bomben haben wir noch nie erlebt. Sie wollen uns alle auslöschen.“ Das Leiden sei einfach unfassbar, berichtete auch ein Universitätsprofessor aus Aleppo. „Tod und Zerstörung sind überall“, sagte Abdulkafi al-Hamdo dem arabischen Nachrichtensender al-Jazeera. Rettungskräfte könnten verschütteten Menschen nicht mehr helfen, weil die Straßen von Trümmern versperrt seien. „Im Spital liegen Patienten zu dritt und zu viert in einem Bett und das selbst auf der Intensivstation.“

Syrische und russische Kampfflugzeuge bombardieren seit vergangenem Dienstag die ehemalige Industriestadt im Norden des Landes – und das, wie nie zuvor im Laufe des syrischen Bürgerkriegs. Das massive Vorgehen gegen den von den Rebellen gehaltenen Ostteil Aleppos sorgt für immer harschere Kritik an Damaskus und Moskau: Bei der Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates in der Nacht auf Montag warfen die Botschafter westlicher Staaten der russischen Seite vor, die Bemühungen um eine neue Waffenruhe zu hintertreiben. Und UN-Generalsekretär Ban Ki-moon sprach von Kriegsverbrechen in Aleppo (siehe unten stehender Artikel).

Bunkerbrechende Bomben

Zum ersten Mal werfen die Flugzeuge auf den Osten Aleppos auch sogenannte bunkerbrechende Bomben ab. Das sind besonders schwere Bomben, die tief in die Erde eindringen. Damit soll das Tunnelsystem der Opposition zerstört werden. Die Rebellen haben in den vergangenen beiden Jahren in monatelanger Arbeit unterirdische Kommandoposten, Munitionslager und Unterkünfte angelegt. So wollten sie einer Belagerung und besonders den Luftangriffen trotzen. Bei der ungeheuren Explosionskraft dieser Antibunkerbomben trifft es aber auch die Bevölkerung. Zumal die Rebellen ihre Militäranlagen oft in der Nähe von Wohngebieten angelegt haben.

Aber den Tod von Zivilisten hat Syriens Regime stets in Kauf genommen. Und gerade heute ist es nicht anders. Koste es, was es wolle – Aleppo soll nach mehr als vier Jahre langen Kämpfen erobert werden. Am Montag hatte Syriens Armee den Beginn einer Großoffensive bekannt gegeben. Die verheerenden Luftangriffe scheinen zu bestätigen, dass das Regime Ernst macht. Und die Vorgehensweise folgt genau dem Lehrbuch der Kriegsführung: Zuerst wird alles in Schutt und Asche gebombt, um den Weg frei zu machen für die darauf folgende Bodenoffensive.

Für die Menschen in Aleppo ist es eine neue Katastrophe ungekannten Ausmaßes. Sie sind an den Tod und schreckliche Lebensverhältnisse gewöhnt. Aber niemand hätte für möglich gehalten, dass das Leiden der 250.000 Bewohner im Osten der Stadt noch größer werden könnte. Jahrelang hatten sie Fassbomben und Massaker ertragen, waren mit Hunger und ohne Medikamente ausgekommen. Und nun ist ihre Lage noch schlimmer geworden.

„Ganz abgesehen von dem unaufhörlichen Bombenregen“, schrieb Hamza, „gibt es kaum noch etwas zu essen, das Benzin geht aus, kaum einer hat noch Elektrizität, und nun ist auch das Wasser weg.“ Ein Bombenangriff hatte die Wasserpumpe zerstört, die das von Rebellen kontrollierte Gebiet mit Wasser versorgte. Als Vergeltung sprengte die Opposition daraufhin die Wasserpumpe in die Luft, die den Regimeteil im Westen belieferte. Nun haben sämtliche der insgesamt eineinhalb Millionen Einwohner Aleppos kein Wasser mehr. Gerade für Kleinkinder ist das ein gesundheitliches Desaster. „Es gibt nur noch verschmutztes Wasser“, sagte Mohammed Hamza, der zum Glück keine Kinder hat, wie er betont.

Schneise für Bodentruppen

„Was müssen wir noch aushalten?“, fragte der junge Mann. Das Schlimmste dürfte dabei noch kommen. Die syrische Armee möchte unbedingt den Sieg in der „Mutter aller Schlachten“ erringen, wie sie den Kampf um Aleppo nennt. Syriens Außenminister, Walid Muallem, hatte vor der UN-Vollversammlung von „großen Erfolgen im Kampf gegen Terroristen“ gesprochen und die Worte „militärischer Sieg“ in den Mund genommen. Die Bomben auf Aleppo werden dieses Mal so lang weiterfallen, bis eine Schneise für die Bodentruppen frei wird. Und das kann noch Hunderte von Rebellen und gerade auch Zivilisten das Leben kosten.

AUF EINEN BLICK

Syriens Regime hat eine Großoffensive zur vollständigen Eroberung der nordsyrischen Stadt Aleppo angekündigt. Seit Tagen fliegen syrische und russische Kampfflugzeuge massive Einsätze gegen den von Rebellen gehaltenen Ostteil der Stadt. Die Lage der dort lebenden 250.000 Menschen wird immer prekärer. Erstmals werden nun auch bunkerbrechende Bomben eingesetzt, die für schwere Zerstörungen sorgen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.09.2016)

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