Deutschland sucht den Superpräsidenten

Kretschmann of the Greens takes oath as newly elected Baden-Wuerttemberg state premier during a ceremony at the state parliament in Stuttgart
Kretschmann of the Greens takes oath as newly elected Baden-Wuerttemberg state premier during a ceremony at the state parliament in Stuttgart(c) REUTERS (RALPH ORLOWSKI)
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Aus Angst vor der AfD wollen Kanzlerin Angela Merkel und Vizekanzler Sigmar Gabriel bei der Bundespräsidentenwahl im Februar kein Risiko eingehen. Gefragt ist ein „überparteilicher Kompromisskandidat“. Allein: Man findet keinen.

Berlin. Kurz hatte es nach einem Lagerwahlkampf um den nächsten deutschen Bundespräsidenten ausgesehen. Angela Merkel fühlte bei bzw. für Winfried Kretschmann (Grüne) und Volker Bouffier (CDU) vor. Der eine, Kretschmann, leitet die grün-schwarze Regierung in Baden-Württemberg. Der andere, Bouffier, die schwarz-grüne Koalition in Hessen. Vizekanzler Sigmar Gabriel wurde inzwischen in Köln beim iranischstämmigen Schriftsteller Navid Kermani vorstellig.

Die Idee(n) dahinter: Für einen Bundespräsidenten Kretschmann oder Bouffier sorgt Merkels Union mit den Grünen. Gemeinsam hätte man in der Bundesversammlung eine Mehrheit von rund 55 Prozent. Oder aber ein Bündnis aus SPD, Grünen und Linkspartei, das auf rund 50 Prozent käme, wählt Kermani spätestens im dritten Wahlgang zum ersten muslimischen Bundespräsidenten Deutschlands.

In beiden Fällen gab es jedoch einen Unsicherheitsfaktor: Die Grünen sind zwischen Union und SPD tief gespalten. Außerdem wäre eine schwarz-grüne oder eine rot-rot-grüne Allianz schon als Vorbotin der Bundestagswahl 2017 interpretiert worden. Das wollten alle vermeiden, besonders die Grünen.

Und dann kam ein weiteres Problem dazu. Bei den Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin schnitt die AfD zweistellig ab. Und jetzt fürchten alle außer der AfD, dass ein Lagerwahlkampf um das höchste Amt im Staat den Rechtspopulisten noch mehr Wähler in die Arme treiben könnte.

Verfassungsrichter Voßkuhle sagt ab

In der Vorwoche sollen sich Merkel und Gabriel daher auf einen „überparteilichen Kompromisskandidaten“ geeinigt haben, in der deutschen Kürzelsprache „Ükoka“ genannt. Man möchte lieber kein Risiko eingehen. Gesucht wird jemand, der angesichts der aufgeheizten Stimmung im Land nicht noch weiter polarisiert, sondern integrativ wirkt. Und der auch die Stimmen der Opposition bekommt. Jemand wie Amtsinhaber Joachim Gauck. Allein: Es findet sich niemand. Oder jedenfalls niemand von Gaucks Format.

Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, wäre für alle Parteien wählbar gewesen, will aber aus familiären Gründen nicht nach Berlin umziehen, sondern in Karlsruhe bleiben. Der „Spiegel“ berichtete, Gabriel hätte sich von Voßkuhle einen Korb geholt – so wie Merkel schon vor fünf Jahren, als sie einen Nachfolger für Christian Wulff suchte. Erst nach Voßkuhles Absage sei sie auf Gauck umgeschwenkt.

In Berlin werden nun weitere Kandidaten gehandelt, etwa Christine Hohmann-Dennhardt, eine ehemalige Verfassungsrichterin, die derzeit Managerin bei VW ist. Oder der Theologe Wolfgang Huber, früher Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland. Für Hohmann-Dennhardt spricht, dass sie als langjährige SPD-Ministerin in Hessen politisch erfahren ist. Allerdings hat sie einen Parteistempel. Huber ist zwar parteipolitisch nicht vorbelastet, dafür aber unerfahren.

Am Montag tauchte dann das Gerücht auf, Merkel wolle den Sozialdemokraten eine CSU-Kandidatin schmackhaft machen, nämlich Gerda Hasselfeldt, die Vorsitzende der CSU-Abgeordneten im Bundestag. Hasselfeldt hat sich nicht nur in den eigenen Reihen als Mediatorin zwischen der Kanzlerin und CSU-Chef Horst Seehofer einen Namen gemacht, sie wird auch in der SPD geschätzt.

Seehofer stellt Bedingungen

Unlogisch wäre das nicht. Merkel kann sich nach den Verwerfungen um ihre Flüchtlingspolitik keinen neuen Streit mit der bayerischen Schwesterpartei leisten. Und Seehofer soll bereits klargestellt haben, dass für ihn nur ein gemeinsamer Kandidat mit der SPD infrage kommt. Ein schwarz-grünes Signal, argumentiert er, würde dazu führen, dass konservative Unionswähler bei der Bundestagswahl zur AfD wechseln. Außerdem müsse die Union ihren Kandidaten sicher durchbringen. Und das gehe eben nur mit der SPD. Weshalb wohl auch Finanzminister Wolfgang Schäuble und Bundestagspräsident Norbert Lammert ausfallen. Offen ist allerdings, ob sich die SPD auf Hasselfeldt einigen könnte. Denn „überparteilich“ trifft auch auf die 66-jährige Politikerin aus Niederbayern nicht zu.

Vier Monate, nachdem Gauck erklärt hat, dass er aus Altersgründen keine zweite Amtszeit anhängen wird, gibt es also noch immer keinen programmierten Nachfolger. Vielleicht ändert sich das am 6. Oktober. Da wollen sich Merkel, Gabriel und Seehofer zu einem Sondierungsgespräch treffen.

AUF EINEN BLICK

Der nächste deutsche Bundespräsident wird am 12. Februar von der Bundesversammlung – Bundestag plus Bundesrat – gewählt. Amtsinhaber Joachim Gauck hat Anfang Juni erklärt, dass er für eine zweite Amtszeit nicht zur Verfügung steht. Die Begründung des 76-Jährigen: Er könne nicht garantieren, dass er in den nächsten fünf Jahren noch die nötige „Energie und Vitalität“ haben werde. Gauck war im März 2012 mit den Stimmen von Union, SPD, Grünen und FDP gewählt worden.

Die Regierung will nun erneut einen „überparteilichen Kompromisskandidaten“ ins Schloss Bellevue bringen. Die Suche gestaltet sich allerdings schwierig. In den deutschen Medien werden derzeit mehrere Namen genannt: Christine Hohmann-Dennhardt, ehemals Verfassungsrichterin und jetzt VW-Managerin. Wolfgang Huber, früher Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland. Und Gerda Hasselfeldt, die Vorsitzende der CSU-Abgeordneten im Bundestag.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.09.2016)

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