Die Verheißungen des Designs

In diesem Jahr feiert die Vienna Design Week das Zehn-Jahr-Jubiläum. Wie hat sie die Kreativlandschaft in Wien verändert? Ein „Schaufenster“-Salongespräch.

Wenn Tulga Beyerle, Thomas Geisler und Lilli Hollein gemeinsam in einer Küche stehen, dann kann so einiges passieren. So geschehen etwa 2006. Damals standen sie nicht nur in der Küche, sondern auch vor einer Entscheidung: „Entweder wir machen selbst etwas, oder wir müssen wohl das Land verlassen“, erzählt Lilli Hollein. Sie steht heute als einzige der Gründer an der Spitze der Vienna Design Week.
Mit der ersten Ausgabe des Festivals sind die drei Designexperten vor zehn Jahren in ein Vakuum gestoßen, das sich bis heute gefüllt hat: mit einer faszinierenden Bandbreite von Ideen, Zugängen, Aspekten und vor allem auch Namen, die noch immer auftauchen und häufig um vieles geläufiger sind als einst. Eine Studie – durchgeführt von der Wiener Wirtschaftskammer und der Wirtschaftsagentur Wien – zeigt nun, dass die Vienna Design Week in den vergangenen zehn Jahren nachhaltige Effekte gehabt hat: auf die Stadt selbst, auf die lokale Szene, aber auch auf die internationale Reputation Wiens als Designstandort. Zum Zehn-Jahr-Jubiläum trafen sich Festivaldirektorin Lilli Hollein, Designer Thomas Feichtner, Architekt und Designer Wolfgang List vom Studio Most­likely und die Leiterin des Designforums Wien, Bettina Steindl, zum „Schaufenster“-Salongespräch.

Manchmal hat man den Eindruck, als würde Design nur jene interessieren, die auch wirklich mit Design zu tun haben. Täuscht der Eindruck?

Wolfgang List: Ich glaube schon, dass zwischen den Designinteressierten und den Designteilnahmslosen ein großes Gefälle existiert. Es könnte daran liegen, dass Architektur und schon gar nicht Design als Teil der Allgemeinbildung betrachtet werden. Ich unterrichte an der Technischen Universität in Graz, die Praktikanten aus den Schulen, die ich dort treffe, haben oft von Le Corbusier oder Mies van der Rohe noch nie etwas gehört. Das ist umso erschreckender, als gerade Architektur uns alle betrifft. Unser Studio Mostlikely schlitterte 2012 ins Design hinein, auch über die Vienna Design Week, bei der wir ein Projekt hatten. Zuvor hatten wir uns die Szene klein und kompakt vorgestellt. Aber dass sie dann noch kleiner und kompakter war, überraschte uns.

Thomas Feichtner: Wir waren in den vergangenen zehn Jahren so gut wie immer bei der Vienna Design Week vertreten. Ich habe da schon festgestellt, dass sich der Kreis der Interessengemeinschaft vergrößert hat. Obwohl ich mich immer wundere, wen ich bei der Vienna Design Week treffe: nämlich viele Studenten so mancher Ausbildungsinstitutionen. Eigentlich sollte ja diese Designwoche bei allen auf dem Lehrplan stehen. Bei uns haben die Praktikanten Freigang und den Auftrag, möglichst viel davon mitzunehmen. Ich selbst mache nicht deshalb mit, weil ich mir Applaus oder lobende Worte für die Dinge erwarte, die ich tue, sondern weil ich das Gefühl habe, dass man hier in einen Dialog mit der Designcommunity treten kann – und auch in einen Spirit des Miteinanders.

Bettina Steindl: Wir sehen natürlich bei unseren Ausstellungen im Designforum, dass es manchmal durchaus eine schwierige Aufgabe sein kann, Menschen außerhalb der Designcommunity für bestimmte Themen der Gestaltung zu begeistern. Es ist so wie bei Kunstausstellungen auch: Wir müssen mit unseren Ausstellungen abwägen, ob man einem kleinen Kreis sehr große Freude machen will oder lieber einem breiten Publikum einen attraktiven Zugang legt. Eine gute Mischung sollte es auf jeden Fall sein.

Lilli Hollein: Wir als Festival können da natürlich noch schneller reagieren als Museen und bemühen uns, gewisse Strömungen schon in frühen Stadien zu antizipieren. Gerade den Diskurs zu befeuern sehen wir als zentrale Aufgabe der Vienna Design Week. Aber ich würde doch gern der Annahme des allzu engen Kreises der Designinteressenten widersprechen, sonst hätten wir niemals die Besucherzahlen erreicht, die wir in den vergangenen Jahren konstant mit über 36.000 gehalten haben. An diesen Zahlen sieht man auch, dass man den Designdiskurs durchaus für ein breiteres Publikum interessant gestalten und darstellen kann. Jedenfalls kommen die Themen ins Programm der Vienna Design Week, weil wir sie kuratieren und finanzieren.


Welche Themen sind es denn, die vom stark involvierten Kern der Community in die sonst teilnahmslose breitere Öffentlichkeit hinausstrahlen?

Feichtner: Ich glaube, es gibt vor allem ein Thema, an dem keiner vorbeikommt: die Zukunft. Für einen Ausstellungsbesucher außerhalb der Designszene ist die Frage, wie die Dinge und Produkte morgen aussehen werden, die interessanteste. Es steckt darin auch immer eine Projektion und Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Und eine Verheißung derselben. Im Design spiegelt sich vor allem auch die Vorstellung einer Zukunft zu einem gewissen Zeitpunkt.

Steindl: Die Vienna Design Week ist ja auch wahnsinnig zeitgenössisch aufgestellt. Was sie ausmacht, ist vor allem auch, dass sie abseits von reinen Produktausstellungen einen Themenkreis abdeckt, der sich in vielfältiger Form mit gegenwarts- und zukunftsrelevanten Fragen beschäftigt. Dazu gehört beispielsweise das Social Design oder urbanistische Fragestellungen, die etwa im Format „Stadtarbeit“ behandelt werden.


Die Designer sind also zunehmend wieder die Universalisten, die sie schon zu Beginn der Designgeschichte oftmals waren. Doch was können Events und Formate wie die Vienna Design Week, die sich selbst in der Designwelt gut verankert haben, dafür tun, dass sich auch die Gestalter wirtschaftlich gut verankern und nicht nur neue Lifestyle-Gesichter liefern?

List: Es muss einem Gestalter schon klar sein, dass es sehr schwer ist, von seinem eigenen kreativen Output auch zu leben. Das schaffen eigentlich die wenigsten.
Feichtner: Wir sehen immer Zahlen, wie viele Menschen im Designbereich arbeiten und wie in diesem Segment der Umsatz steigt, aber ehrlich gesagt: Ich kenne kaum jemanden, der davon leben kann.

List: Der Trend ist offensichtlich: Die Designer müssen sich auch selbst wirtschaftliche Kompetenzen aneignen. Heutzutage geht es darum, die Produkte nicht nur selbst zu gestalten. Man bringt sie weltweit auf den Markt, man vertreibt sie selbst. Das ist heute kein Problem mehr. Diese Herangehensweise würde ich auch jedem Gestalter dringend empfehlen.

Hollein: Ich habe schon sehr viele Designer scheitern gesehen, die sich selbst auch im Vertrieb versucht haben, aber die sich einfach in unternehmerischen Aufgaben aufreiben, in denen sie bei Weitem nicht so begabt sind wie in den gestalterischen und konzeptiven Prozessen. Gute Gestalter sollten sich nicht unbedingt selbst als Unternehmer versuchen.

Feichtner: Betriebswirtschaftlich zu denken, einen Vertrieb aufzubauen – dazu braucht man ganz andere Talente und Begabungen als dafür, ein guter Designer zu sein. Viele hervorragende Gestalter verbringen ihre Zeit damit, von Messe zu Messe tingeln. Darunter leidet auch ihre kreative Arbeit.

Hollein: Ohne Förderprogramme, wie etwa das Departure-Zentrum der Wirtschaftsagentur Wien oder Plattformen wie die Vienna Design Week, wird es nicht leichter. Designer brauchen sie, um ihre Produkte nicht nur in die Öffentlichkeit, sondern auch in ein professionelles Umfeld zu rücken. Der Markt ist schwierig. Die Unternehmen neigen derzeit dazu, eine Unkultur aufkommen zu lassen: nämlich die Produktentwicklung auf dem Rücken der Designer auszulagern. Und sie lassen das oft genug aus Not zu.

List: Wir arbeiten als Designstudio so, wie es uns am besten liegt.Deshalb vertreiben wir unsere Produkte selbst, entwickeln sie selbst, produzieren sie selbst.

Feichtner: Das Selbstproduzieren ist natürlich ein Zukunftsmodell. Zum Glück haben wir uns im vergangenen Jahrzehnt aus einer Ohnmacht befreit. Hochkomplexe Dinge wie Handys werden weiter unseren Alltag bestimmen. Aber dafür können Konsumenten selbst aktiv werden, zu töpfern beginnen und ihre Produkte in die Auslagen stellen. Das Wichtigste ist: Es ist eine aktive Haltung, keine passive.

List: Ich glaube, das Selbstmachen ist der Ausweg. Zurzeit produzieren wir im Studio etwa Lautsprecher mithilfe eines 3-D-Druckers. Das Scheitern gehört als Option dazu. Doch die Ausbildungsstätten müssten die zukünftigen Designer besser auf wirtschaftliches Denken vorbereiten.

Steindl: Ich glaube auch, dass die Ausbildungsstätten ein Manko bei der wirtschaftlichen Ausbildung haben. Allein die Grundprinzipien des Marketing fehlen vielen. Bei jungen Leuten, das sehe ich häufig, scheitert es oft schon an den ganz grundlegenden Dingen. Letztens bei einer Messe in Paris habe ich es wieder erlebt: Da waren junge Leute, die nicht einmal Visitenkarten dabeihatten. Oder sie legen keinen Wert auf einen Facebook-Account. Wie kann das funktionieren? Bei meinem Lehrauftrag in Linz habe ich bemerkt, dass die Studenten nicht auf philosophische Designdiskurse warten, sondern auf handfeste Informationen, wie ein Designstudio funktioniert. Und wie man Honorarnoten ausstellt oder Stundensätze berechnet. Da werden manchmal Designer auf den Markt gelassen, die keine Ahnung haben, wie sie auf dem harten Terrain überleben sollen.


Visitenkarten, Marketing, wirtschaftliche Grundkenntnisse. All das kann Designern helfen, von ihrer Kreativität leben zu können. Wie weit kann und konnte die Vienna Design Week Designern helfen und nützen?

Hollein: Oft ziehen die beteiligten Designer direkt einen Nutzen aus der Beteiligung. Allein schon durch Wiederbeauftragungen. Aber vor allem nützen den Designern die Verbindungen, die geschaffen werden, durch eine Reihe von Begegnungsmöglichkeiten, die die Vienna Design Week schafft. Im Rahmen der Passionswege haben natürlich schon ein paar Namen, die heute in aller Munde sind, ihre Talentproben abgelegt.

Steindl: Tomás Alonso zum Beispiel.

Hollein: Ja, bei Alonso waren wir natürlich nicht ganz unstolz, ihn schon früh dabei gehabt zu haben. Aber auch ein Mark Braun zählt zur Riege jener, für die die Design Week schon ein Riesensprungbrett gewesen ist. Auch deshalb, weil sie die Möglichkeit bietet, innerhalb kürzester Zeit Projekte zu realisieren und mit einer breiten medialen Öffentlichkeit zu teilen.


Gut, das waren zum Großteil internationale Designer, die sich in Wien profiliert haben: Braun ist Deutscher mit Studio in Berlin, Alonso Spanier in London. Was hatte denn die österreichische Designszene selbst vom Festival?

List: Ich sehe unser Designstudio zwischen New School und Old School. Wir machten 2012 bei der Vienna Design Week mit, das war ein wichtiger Startschuss. Wir konnten uns danach in Mailand ausprobieren, waren mit der Wirtschaftskammer da und dort. Doch allmählich haben wir bemerkt, dass für uns das System ganz anders funktioniert. In diesem Jahr etwa hatten wir keine Ausstellung, gar nichts. Und es war unser bestes Jahr. Wir haben einen Webshop, den habe ich in vier Stunden gebastelt. Er ist gratis. Mailand hat uns nicht das Geringste gebracht. Uns entdecken die Menschen im Internet, nicht auf den Design Weeks.

Steindl: Die Effekte geschehen natürlich auch oft sehr zeitverzögert. Da gehört auch eine gute Portion Geduld dazu. Da fällt mir gerade der „FX 10“-Loungechair von Thomas Feichtner ein, den er für die Neue Wiener Werkstätte machte. Vor zehn Jahren war er fertig. Zehn Jahre danach hat er jetzt sein bestes Verkaufsjahr. Es bedarf eben auch des Aushaltens und auch des unerschütterlichen Vertrauens in das gestaltete Produkt.

Feichtner: Das Format der Vienna Design Week war enorm wichtig für uns. Wir waren fast an allen Design Weeks in Wien mit Projekten beteiligt. Die Vienna Design Week ist zudem auch eine wichtige Verbindung zu anderen Städten und deren Designfestivals. 2011 hatten wir eine Ausstellung, mit der wir in fast jedem europäischen Designfestival vertreten waren, jede Woche waren wir im Flieger. Solche Gelegenheiten muss man einfach nutzen. Doch junge Designer dürfen ja nicht glauben, dass jemand an ihrem Produkt vorbeigeht und sagt: „Das mach’ nach!“


List: Es gibt ja auch ganz andere Möglichkeiten, Präsenz zu zeigen, als solche Designevents. Man kann auch ein Buch machen, das war noch nie so günstig wie heute, man kann es sogar vorfinanzieren lassen, etwa mit einer Crowdfunding-Kampagne. Ich glaube, dass es wichtig ist, als Gestalter auch Haltung zu zeigen, sich zu positionieren. Und das nicht nur mit immer neuen Bildern in einer noch größeren Bilderflut, sondern auch, indem man etwas schreibt und dadurch zeigt, wofür man steht, und dass man etwas zu sagen hat.


Feichtner: Auf jeden Fall findet zu wenig Designkritik statt. Es wird produziert, produziert, ausgeworfen, ausgeworfen. Doch auf der gegenüberliegenden Seite der Gestalter gibt es kaum ein Echo als Reflexion, das Stellung zu all dem nimmt, was da produziert wird.

Hollein: Meistens wird eine Haltung gar nicht erst entwickelt. Das ist ja auch schwierig, wenn Ausbildungsstätten hauptsächlich Wirtschaftskooperationen als Semesterprojekte ausgeben. Wie soll man da eine Haltung bekommen, sich mit dem eigenen Tun auseinandersetzen, wenn man Briefings abarbeitet?


Steindl: Was mir an der Designszene am besten gefällt, und was mich auch bewogen hat, mich mit ihr zu beschäftigen, war die Euphorie und die Hingabe, mit der sich Designer ihren Projekten widmen. Das steckte mich vor zehn Jahren an, als ich an der Linzer Kunstuniversität war. Da herrschte ein Spirit, fast ein Kommunengefühl, es drehte sich alles ums Design.


2006, zur selben Zeit in Wien, war da weniger Spirit zu spüren. Dafür die Entschlossenheit dreier Designexperten, das zu ändern. Die Vienna Design Week wurde geboren.


Hollein: Tulga Beyerle, Thomas Geisler und ich haben das Festival aus dem Stand gegründet. Damals gab es zwar schon eine relevante Szene von ein paar maßgeblichen Leuten – aber gleichzeitig gab es umso mehr Leute mit Potenzial, die sich noch nie international präsentiert oder einem Wettbewerb ausgesetzt hatten. Deshalb wollten wir auch internationale Gestalter nach Wien holen, um die Szene ein wenig dem Druck auszusetzen. Heute, zehn Jahre danach, bestätigt die Studie der Wirtschaftskammer und der Wirtschaftsagentur Wien die nachhaltigen Effekte des Festivals und zeigt auch auf, wie viel internationale Relevanz wir uns erarbeitet, wie gut wir Innovationsräume aufgemacht, neue Strömungen aufgegriffen, neue Orte erschlossen haben.


Feichtner: Ich glaube, es gibt keine spannendere Zeit als die vergangenen zehn Jahre – und die kommenden zehn Jahre. Ab 2006 gab es einen Designboom, der Informationsaustausch zwischen Museen und Institutionen wurde plötzlich auf ein ganz anderes Level gehoben. Seitdem wird auch die Designgeschichte ganz anders geschrieben als vorher. Das Design ist erwachsen geworden, aus der Bastelstube herausgekommen. Es wurde lustiger, raffinierter, mit mehr Esprit, mehr Schmäh, mehr Lust. All das hat die Vienna Design Week zum richtigen Zeitpunkt erfolgreich aufgegriffen. Jetzt, zehn Jahre danach, können Kreativität und Talent endlich Designgeschichte schreiben.


List: Bei uns im Büro werden die nächsten zehn Jahre noch spannender werden. Wir haben immer virtuell am Computer gearbeitet, und plötzlich haben wir die Mittel in der Hand, diese Virtualität in die Realität zu übertragen, Stichwort 3-D-Druck. Das wird immer stärker werden. Die Werkzeuge dafür sind inzwischen für jeden greifbar.
Steindl: Ich glaube, dass die Community in Österreich zwar klein ist, aber der Kreis jener, die sich für Design seriös interessieren, immer größer wird. Ich bemerke das auch in meinem Freundeskreis. Menschen, die sich mit Design einrichten – aber nicht à la Eames Lounge Chair, sondern die sich auch intensiv mit der Geschichte beschäftigen. Design wird in normalen Haushalten konsumiert, nicht nur als Statussymbol, sondern auch, indem seine Vorteile, seine Qualitäten und der Sinn dahinter erkannt und geschätzt werden.


Hollein: Man bemerkt durchaus, dass in der breiten Öffentlichkeit das Interesse an Design gestiegen ist, vor allem am Produkt- und Möbeldesign. Am meisten freut mich aber, dass Design eine Rolle in den vergangenen zehn Jahren angenommen hat, in der es immer schon stark gewesen ist: nämlich Moderator ganz unterschiedlicher Disziplinen zu sein.

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