Träume und Traumata

Die Modewochen mit Kollektionen für den Sommer 2017 erreichten zuletzt in Paris ihren nicht ganz ungetrübten Höhepunkt.

Zumindest während der letzten Tage der Semaine du Prêt-à-porter in Paris war die Mode kurzfristig nicht mehr Thema Nummer eins in den Frontrows der Schauen: Vielmehr beschäftigten der Raubüberfall auf Kim Kardashian in dem von ihr gemieteten Pariser Luxusappartement, die mit astronomischen Höhen bezifferte Schmuckausbeute der Diebe und mancherorts sogar die Frage, ob dieser unglückliche Zwischenfall nicht zumindest zum Teil selbst verschuldet sei, die von fern und nah angereiste Gästeschar. Ja, das für die Kardashian traumatisierende Malheur nahm vorübergehend sogar eine politische Dimension an: Der zu befürchtende Imageschaden für die Ville des lumières rief die kalmierende Bürgermeisterin, Anne Hidalgo, auf den Plan, die Karda-shian unter anderem ausrichtete, dass sie in Paris immer „la bienvenue“ bleiben werde (worum sich diese unter den gegebenen Umständen wahrscheinlich herzlich wenig scherte).

Die Zahlen stimmen. Im Schatten dieser Angelegenheit verblasste denn auch die Medienwirksamkeit einer gemeinsamen Pressekonferenz der zwei – nur bedingt kooperierenden – französischen Modekammern, bei der auch der für Mode zuständige Kulturstadtrat aus Hidalgos Kabinett anwesend war und bei der man die wirtschaftliche Bedeutung der Branche für das BIP des Landes wortreich betonte und mit beeindruckenden Zahlen untermauerte. Schließlich bedingt ja dieses große ökonomische Gewicht der Modebranche in Frankreich – ebenso wie etwa in Italien – die Bedeutung, die einem möglichst reibungslosen Ablauf der Modewoche beigemessen wird.

Die Auswirkungen des Überfalls auf einen Social-Media-Weltstar können also ob ihrer Publikumswirksamkeit doppelt schmerzhafte Konsequenzen zeitigen. Es ist absurd und bezeichnend für die Funktionsweise des Modesystems, das sich gerade im Oszillieren zwischen Presse, Einkäufern, Red-Carpet-VIPs und Social-Media-Influencers neu erfinden möchte, dass wahrscheinlich der tragische Raubüberfall auf die Kardashian – wegen deren unmittelbar vorangegangenem Frontrow-Auftritt bei Givenchy – die Wahrnehmung der Frühjahrskollektion von Riccardo Tisci für die Marke negativ beeinflussen könnte. Das üble Karma würde allerdings zu Unrecht über einer sehr viel optimistischeren und lebensbejahenderen Kollektion von Tisci schweben, als man sie von ihm mitunter in der Vergangenheit gesehen hat.

Ohnehin war, apropos positive Stimmung, in Paris seit Längerem erstmals wieder ein Normal- oder sogar der Idealzustand eingekehrt. Nach einer ausgedehnten Phase reger Rochaden waren alle wichtigen Designerposten nachbesetzt worden, das Fachpublikum erwartete mit Spannung gleich mehrere Premieren: Maria Grazia Chiuri gab nicht einmal drei Monate nach dem Bekanntwerden ihrer Bestellung ihr Debüt bei Dior, Bouchra Jarrar trat bei Lanvin in die Fußstapfen von Alber Elbaz, und Anthony Vaccarello zeigte seine erste Kollektion als Chefkreativer von Saint Laurent nach dem Abgang von Hedi Slimane.
Vielerorts zu spüren war indes der Einfluss des Deutsch-Georgiers Demna Gvasalia als Kreativdirektor von Balenciaga in seiner zweiten Saison: Der von Gvasalias Marke Vetements ausgehende Hype (mit Vetements defilierte er nach einer Präsentation im Juli als Teil des Haute-Couture-Kalenders diesmal nicht) wurde mühelos auf die Kollektion von Balenciaga übertragen. Das von ihm völlig unbekümmert befolgte Prinzip der Bubble-up-Mode, also des Transfers von Streetwear-Codes auf die High Fashion, praktiziert Gvasalia auch dort, und steckt hinfort die Balenciaga-Luxusklientel in eine kompromisslos überschnittene Silhouette, drückt ihr die mehrere tausend Euro teuren Versionen von Taschen in die Hand, die man sonst in den Ramschläden von Belleville (oder auch Ottakring) für den Abtransport trashig gemusterter Überdecken bekommt. Dennoch – oder eben darum – ist diese Herangehensweise ein Ausdruck jenes frischen Winds, den Paris dringend nötig hatte.

Neuer Kampfgeist. So weit, es ihm gleichzutun, ging Maria Grazia Chiuri bei Dior zwar nicht, doch auch sie kam bei ihrer Premiere nicht ohne Zwinkern in Richtung Casual Chic aus. Das manifestierte sich etwa in Form von Slogan-T-Shirts, wohl ebenfalls eine Dior-Premiere, die zu einer „Dio(r)evolution“ aufriefen oder alle Frauen zu Feministinnen erklärten. In den ersten paar Looks ihrer Kollektion gab sich Chiuri kämpferisch, indem sie die Anmutung von Fechttrikots zitierte (mit einer romantisch-verwundbaren Herzstickerei am richtigen Fleck). Als Reverenz an den Gründer des Hauses zitierte sie etwa dessen Hang zu Astrologie und Aberglauben. Manche Abendkleider in der Kollektion erinnerten stark an jene raffinierten Valentino-Kleiderkreationen, die sie gemeinsam mit ihrem Konterpart, Pierpaolo Piccioli, zum Markenzeichen des römischen Modehauses machte. Das ist legitim, in künftigen Saisonen wird Chiuri aber eine kohärentere Handschrift für Dior entwickeln müssen. Piccioli hingegen, hinfort ohne seine Partnerin für die Weiterführung von Valentino verantwortlich, darf dort weitermachen, wo die beiden zusammen aufgehört haben. Ein Bruch mit der gemeinsamen Arbeit war nicht bemerkbar (und wurde auch von niemandem erwartet).

Für seine Solopremiere wandte sich Piccioli jedoch an die britische Designerin Zandra Rhodes und bat sie um die Interpretation von Hieronymus-Bosch-Motiven als Vorlagen für kostbare Stickereien. Große Ehrfurcht zeigte auch Anthony Vaccarello als Nachfolger von Hedi Slimane bei Saint Laurent vor den Leistungen seines Vorgängers: Er hütete sich, mit dem kommerziell äußerst erfolgreichen Saint-Laurent-Bild von Slimane zu brechen, lieferte aber in seiner ersten Saison eine Art B-Version desselben ab. Bei Lanvin konnten Beobachter hingegen den Eindruck haben, dass sich Bouchra Jarrar – sie hat ebenso wie Vaccarello zuvor ihre eigene Modemarke aufgrund der neuen Verantwortung bei einem der großen Pariser Maisons eingestellt – noch nicht ganz darüber im Klaren ist, wie sie ihre neue Aufgabe und das kommerzielle Gewicht von Lanvin mit ihrer vorherigen Arbeit als unabhängige Couture-Designerin auf einen Nenner bringen soll.

Aussöhnung mit Paris. Bei Hermès wagte sich indessen die Designerin Nadège Vanhee-Cybulski ein bisschen aus der „Wir sind kein Modehaus“-Komfortzone heraus und zitierte etwa Workwear, die sie in Sphären des Luxus erhob. Stets für Überraschungen gut und doch auf Bewährtes setzend: Zwischen diesen beiden Polen oszilliert im Hause Chanel das Engagement des nimmermüden Karl Lagerfeld, der diesmal eine Tweed-meets-Techno-Kollektion in einem imposanten Big-Data-Setting zeigte, allerdings von der hier naheliegenden Möglichkeit, Wearable Technology zu integrieren, nicht Gebrauch machte.

Mit einer Art Paris-Trauma, erlitten anlässlich eines wegen nicht erfüllter Sicherheitsauflagen in letzter Sekunde abgesagten Defilees in der Capitale de la mode, söhnte sich diesmal Giorgio Armani aus. Anlässlich der Eröffnung eines umgebauten Flagshipstores seiner Zweitmarke Emporio in Saint-Germain-des-Prés verlegte er die Modeschau der Linie nach Paris Bercy und gefiel sich dort in exotischen, keineswegs aber überfrachteten Fantasien. Seine Komfortzone verließ auch Elie Saab, zumindest in Ansätzen: Er zeigte eine erfrischende Kollektion mit Disco-Flair ­­– die veträumten Märchenprinzessinnen, die er stets einkleidet, dürfen also in der kommenden Saison tanzen gehen. Neben unendlich geschmackvoll arrangierten Blumenskulpturen in schmelzendem Eis defilierten die Damenmodelle von Dries van Noten, dessen Antwerpener Maison inmitten der sich rasch verändernden Pariser Mode ein Bollwerk des guten Geschmacks darstellt. Bei Loewe steht Jonathan W. Anderson weiterhin in den LVMH-Startlöchern für eine größere Berufung: Die Modeidentität des spanischen Traditionshauses darf er nach Lust und Laune umgestalten, und er wird ganz offensichtlich für eine wichtigere Funktion in dem Konzern aufgebaut. Bei der Schwestermarke Céline werkt Phoebe Philo unverdrossen vor sich hin und entwirft weiterhin großartige Mode: Auch bei ihr waren aber Vetements- bzw. Balenciaga-Einflüsse zu vermerken, was, wenige Saisonen nachdem Céline die unangefochtene Bon-Goût-Spitzenposition in Paris innehatte, doch bemerkenswert ist. Nicolas Ghesquière, verantwortlich für die Mode von Louis Vuitton, besann sich, wie es schien, seiner Wurzeln und rückte wieder näher an seine eigene Balenciaga-Ästhetik heran.

Den Ausklang der Pariser und damit aller verbleibenden wichtigen Modewochen zelebrierte das erleichtert aufatmende Fachpublikum wie gewohnt mit dem Defilee der Prada-Zweitmarke Miu Miu: Die Silhouetten waren knapp und von einem interessanten Retro-Vibe getragen; die Laune war gut; die Hoffnung, dass die Prada Group auch in ihren Geschäftsergebnissen bald wieder zu ihrer alten Form auflaufen könnte, lebt. 

Weitere Looks und Impressionen aus Paris auf Schaufenster.DiePresse.com und unserem Instagram-Account @diepresseschaufenster.

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