Spurensuche in der Asche des Ringtheaters

Ringtheater
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Schottenring 7. Vor 135 Jahren ist das Ringtheater abgebrannt, die Geisterhaus-Doku „Sühnhaus“ erzählt die Geschichte des „9/11 des Jahres 1881“ neu: Von fataler Architektur, Behördenversagen und Sigmund Freud.

Wien. Die ganze Geschichte der Adresse Schotttenring 7 hat im kollektiven Erinnern Wiens keinen besonderen Stellenwert. Ein gesichtsloser Zweckbau aus den Siebzigerjahren, heute Sitz der Landespolizeidirektion, der ist, wenn es um die Geschichte des Prachtboulevards geht, eher eine Randnotiz.

Der Ringtheaterbrand, natürlich, der hat sich eingeprägt, und all das Gute, das daraus entstand: Der Brandschutz, das Rettungswesen usw. Dass das Theater an einem Ort stand, an dem zuvor Hingerichtete vergraben wurden, nach dem Brand ein Sühnhaus gebaut wurde, wurde eher vergessen. Regisseurin Maya McKechneay hat sich nun auf eine akribische Spurensuche begeben und dokumentiert, was es mit diesem unheilvollen Ort auf sich hat. Ihr Film „Sühnhaus“ kommt am 8. Dezember ins Kino.

Der 8. Dezember 1881 ist als „Schreckensnacht“ in Wiens Geschichte eingegangen, damals, so erzählt, McKechneay, war die mediale Resonanz weltweit so groß, man könne vom „9/11 des Jahres 1881 sprechen“. Im Theater, das zu dicht gebaut wurde, damit es viel Gewinn abwerfe, müssen sich grauenvolle Szenen abgespielt haben. Meterhoch lagen verkohlten Körper hinter einem Tor, das sich nur nach innen öffnen ließ. Offiziell sind 386 Menschen gestorben.

Die Spuren davon in Wien sind rar: eine Gedenktafel am Schottenring, ein Denkmal auf dem Zentralfriedhof für die Opfer, von dem seit Bombardements im Zweiten Weltkrieg nur noch ein Torso übrig ist – als Andenken an den Krieg wurde es nicht mehr restauriert. Auch das, sagt McKechneay, sage einiges über die Erinnerung.

Verkohlter Kopf als Inspiration

Aber in zahlreichen Archiven und Museen finden sich Relikte dieser Zeit. Eines davon, der vom Ruß geschwärzte abgetrennte Kopf einer Frau, der im Kriminalmuseum ausgestellt ist, war es, das McKechneay an der Geschichte mit gefesselt hat. Dazu kamen ein Faible für Geisterhaus-Filme und die Tatsache, dass der Brand kaum eine Spur im Stadtbild Wiens hinterlassen hat.

Maya McKechneay erzählt in ihrem Film nun die Geschichte eines unheimlichen Ortes, die schon lang zuvor beginnt: Damit, dass in unmittelbaren Nähe jener Teil der Stadtmauer war, den man Elendsbastei nannte, sowie der Platz, an dem Todesurteile vollstreckt wurden. Die Leichen wurden ebenfalls in der Nähe begraben. Ein Theater, auf Knochen gebaut, hieß es später, als 1873 der Bau einer Komischen Oper durch eine Aktiengesellschaft begann. Ein Theater mit 1700 Plätzen, mit einem Luster, prunkvoller als der im Hofburgtheater, es solle zeigen, so heißt es, dass der Kapitalismus den Feudalismus überstrahle. Wirtschaftlich blieb das Theater ein Flop, das änderte auch die Umbenennung in Ringtheater nicht. Mit dem verheerenden Brand ist das Theater dann doch in die Geschichte eingegangen. Bis heute „ist es eine Geschichte, die die Stadt nicht besonders hochhält“.

Im Nachhinein wurde diese schon unmittelbar nach dem Brand als riesiges Unglück, als Schicksal, dargestellt. McKechneay sieht das anders, im Film zeichnet sie eine Kette von Fehlern und Versagen, die zum Brand geführt hätten: fatale, viel zu dichte Architektur. Vor allem die Besucher auf den billigeren Plätzen hätten durch ein regelrechtes Labyrinth laufen müssen, um nach draußen zu gelangen. Polizisten, die einen Kordon bilden, freiwillige Helfer nicht durchließen, die sagen, alle seien gerettet, während drinnen Besucher verglühen. Prozesse, bei denen die Verantwortung den Rangniedrigsten, dem Portier etwa, angelastet wird.

Auch Freud blieb dort glücklos

Dann kam der Kaiser, als Tröster, „als ob er, wie bei einem Kind, den Schmerz wegpustet“, und stiftet ein neues Gebäude: das heute weitgehend vergessene Sühnhaus. Das Gebäude mit einer Kapelle und Wohnungen für Bürgerliche, dessen Zinsertrag wohltätigen Zwecken zufließen sollte, wurde 1886 eröffnet. Lang fanden sich keine Mieter. Einer der ersten war schließlich Sigmund Freud. Er hatte dort seine erste Praxis – und blieb an diesem Ort ebenfalls glücklos. Nachdem sich eine Patientin im Stiegenhaus das Leben genommen hatte, zog er rasch aus. Es ist nicht die einzige Verbindung Freuds zu dieser Adresse. Aus Aufzeichnungen seiner Schwester Anna geht hervor, dass die beiden für den fatalen Abend Karten gehabt hätten, die aber verfallen ließen und schließlich vom Donaukanal den Brand sahen.

Freuds Gedanken, dass die Art, wie man sich erinnert, nie zufällig ist, vieles aussage, greift McKechneay im Film immer wieder auf. Das Sühnhaus ist schließlich im Krieg ausgebrannt und wurde abgetragen. „Das Haus war leicht beschädigt. Es abzureißen war eine bewusste Entscheidung, man wusste, dass Freud darin gelebt hat. Es war eine unliebsame Erinnerung, da hat die ganze Stadt versagt.“

In der Stadt hat der Brand doch Spuren hinterlassen: Die unheimlichen Statuen mit den aufgerissenen Mündern im Pötzleinsdorfer Park etwa, das ist das „singende Quartett“, das auf den Pilastern der Attika des Theaters stand. Auch das Rettungswesen, der strenge Brandschutz, die Tatsache, dass Türen in Theatern immer nach außen aufgehen müssen, oder die Dentalforensik – das alles geht auf den Theaterbrand zurück.

DER FILM

„Sühnhaus“ ist das essayistische Regiedebüt der in Wien lebenden Historikerin, Theaterwissenschaftlerin und Filmkritikerin Maya McKechneay. Die Produktion wurde erstmals bei der Viennale gezeigt und startet am 8. Dezember, dem 135. Jahrestag des Brandes, in ausgewählten Kinos.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.12.2016)

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