Tom Ford: „Als Designer bin ich ein Diktator“

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Modeschöpfer und Filmemacher Tom Ford über schöne dicke Frauen, schwache Männer und seinen Wunsch, Beständiges zu kreieren.

Als Modedesigner Tom Ford ankündigte, er wolle Regisseur werden, war man zumindest skeptisch. Doch dann lieferte er das von Kritikern gefeierte Debüt „A Single Man“ ab. Ein Triumph. Dementsprechend groß war die Neugierde auf sein neues Werk „Nocturnal Animals“, für das sich der 55-jährige US-Amerikaner ganze sieben Jahre Zeit ließ. Auch dieses Drama basiert auf einer literarischen Vorlage: dem Roman „Tony & Susan“ von Austin Wright. Als Meister der stilvollen Inszenierung hat Tom Ford beim Interview in London nichts dem Zufall überlassen: Er trägt einen nachtblauen Dreiteiler aus der eigenen Kollektion zu schneeweißem Hemd und Krawatte (inklusive Nadel), er riecht angenehm nach einem Duft aus seiner Parfumpalette – und doch stimmt etwas nicht. „Ich brauche dringend Kaffee“, entschuldigt er sich. „Aber das heißt, ich werde Kaffeeatem haben.“ Wir werden es verkraften.

Ihr neuer Film ist ganz anders geworden als Ihr Debüt „A Single Man“. Stil und Ästhetik kommen eher am Rande vor. Manche Kritiker bezeichnen ihn sogar als Horrorfilm. Warum haben Sie sich für diese Richtung entschieden?
Ich will mich nicht wiederholen. Und ich will die Zuschauer überraschen. Am besten finde ich es, wenn das Publikum überhaupt nicht weiß, was es erwartet. Als ich mein Debüt angekündigt hatte, dachten alle, ich mache einen Porno oder etwas in der Art. Ich habe mich diesmal ganz auf die Geschichte konzentriert. Amy Adams ist in der Hauptrolle natürlich modisch. Aber die Mode habe ich hier nicht aus ästhetischen Gründen gezeigt. Sie steht ganz im Dienst der Story und unterstreicht den Charakter dieser Figur.


Der Film beginnt mit nackten, tanzenden, übergewichtigen Frauen. Das war auf jeden Fall eine Überraschung.
Die weibliche Hauptfigur ist Kunsthändlerin. Und sämtliche Kunst, die Sie im Film sehen, stammt von zeitgenössischen Künstlern, weil es authentisch wirken sollte. Die Installation mit den tanzenden Frauen habe ich mir allerdings selbst ausgedacht. Es sollte ein Kommentar zur aktuellen politischen Situation in Europa und den USA sein. Wie sieht Europa die USA? Als Teenager hatte ich dieses berühmte Poster von Farrah Fawcett an der Wand. Sie trägt einen roten Badeanzug und man sieht sehr viel Haar und Zähne. So hat man Amerikaner damals gesehen: schön, gebräunt und sportlich. Und heute? Vielleicht sieht man Amerikaner heute als falsch ernährt, übergewichtig und alt. Als wir das gedreht haben, habe ich mich allerdings in diese Frauen verliebt. Ich fand es toll, wie frei sie sich vor der Kamera bewegt haben und wie viel Spaß sie dabei hatten. Als ich die Aufnahmen später gesehen habe, fand ich sie wunderschön.

„Nocturnal Animals“. Tom Fords zweiter Film kommt am 22. 12. in die österreichischen Kinos.
„Nocturnal Animals“. Tom Fords zweiter Film kommt am 22. 12. in die österreichischen Kinos. (c) Universal Pictures International

Eine Art Schönheit, die in der Welt der Mode garantiert nicht vorkommen würde.
Bestimmt nicht. Und diese Frauen waren genau deswegen so frei und schön, weil sie komplett losgelassen haben. Es war ihnen egal, was in unserer Gesellschaft die Definition einer schönen Frau ist. Sie akzeptieren sich so, wie sie sind.


Ist das für Sie der Beginn einer weiteren Karriere als Konzeptkünstler?
Ich bin ja zum Teil in der Wüste New Mexicos aufgewachsen. Und je älter ich werde, desto mehr fühle ich mich in diese offene Weite zurückgezogen. In großen Städten fühle ich mich immer unwohler. Auch wenn Sie das nicht glauben werden, im Grunde meines Herzens bin ich ein zurückgezogen lebender Einsiedler. Vielleicht mache ich auch deswegen Filme über Menschen, die in ihrer ganz eigenen Welt leben. Für den letzten Abschnitt meines Lebens könnte ich mir gut vorstellen, eine männliche Version von Georgia O‘Keeffe zu werden und in der Wüste Kunst zu machen. Ich werde dann mit meinem Hund in einem Pueblo leben und etwas produzieren . . . Was, das weiß ich noch nicht.


Was unterscheidet für Sie den Prozess des Filmemachens vom Entwurf einer Modekollektion?
Die kreative Kontrolle ist dieselbe. Auf beiden Produkten steht der Name Tom Ford. Und obwohl ich mit einer Gruppe von Menschen arbeite, als Regisseur habe ich die Kontrolle und die Vision. Als Modedesigner bin ich allerdings eher ein Diktator: So soll die Frau aussehen und nicht anders. Ich will, dass Männer in der kommenden Saison diese Anzüge tragen. Beim Film ist es letztendlich doch eher eine Gemeinschaftsarbeit, die ich in die Richtung lenke, die ich mir vorgestellt habe.


Was hat Sie nervöser gemacht: Ihre erste Kollektion für Gucci oder Ihr erster Film?
Es ist merkwürdig, obwohl ich mir permanent Sorgen mache, habe ich nie wirklich Angst, ein Risiko einzugehen. Aber das stimmt auch nicht ganz. Natürlich habe ich Angst. Aber ich lasse mich von dieser Angst nicht stoppen. Ich versuche, sie in die richtige Richtung zu lenken und sehe sie als Teil einer Herausforderung. Zuerst ist da immer die Angst. Aber letztendlich macht es doch immer großen Spaß. Und ich will wissen, was ich kann, wie viel in mir steckt.


Wie sind Sie überhaupt auf die Idee gekommen, Filme zu machen?
Ich dachte schon Mitte der Neunzigerjahre das erste Mal daran. Ich hatte damals bereits etwas Erfolg in der Modebranche. Aber da drehte sich immer alles um die nächste Kollektion, den neuesten Trend, der morgen schon wieder alt ist. Ich wollte etwas machen, was über den Zeitgeist des Tages hinaus Bestand hat. Und deswegen fand ich das Medium Film spannend. Da kann ich als Designer eine ganze Welt schaffen. Und in dieser Welt kann ich sogar über Leben und Tod entscheiden.


In der Hauptrolle zeigen Sie mit Jake Gyllenhaal einen Anti-Helden, der zu schwach ist, um sich zu wehren und seine Familie zu retten.
Ich wollte damit etwas über Männlichkeit sagen, die Vorstellung und Erwartung unserer Gesellschaft, wie ein Mann sein sollte. Heute ist es ja besser geworden, weil es mehr Rollenmuster für Männer gibt. Aber in der Kultur, in der ich aufgewachsen bin, existierten die nicht. Da musste man ein harter Kerl sein. Als ich jung war, durften Männer im Sitzen ihre Beine nicht übereinanderlegen. Das galt als feminin. Und das ist nur eines von vielen Dingen, die man als Mann nicht tun konnte. Es existierten strikte Regeln. Und ich wollte einen Mann zeigen, der Schwäche zeigt und deswegen trotzdem nicht weniger männlich ist.

Am Set. Tom Ford beim Dreh von „Nocturnal Animals“, mit Jake Gyllenhaal und Michael Shannon.
Am Set. Tom Ford beim Dreh von „Nocturnal Animals“, mit Jake Gyllenhaal und Michael Shannon.(c) Universal Pictures International

Wie haben Sie es erlebt, als Außenseiter in Texas und New Mexico aufzuwachsen?
Ich bin in die Parallelwelt des Kinos geflüchtet, weil ich schon damals Filme geliebt habe. Ich habe in diesen Filmen und durch sie gelebt. Ich liebe zum Beispiel Los Angeles. Aber ist das das aktuelle Los Angeles? Nein. Es ist diese Vision, die ich von dieser Stadt habe. Und die setzt sich daraus zusammen, wie sie in Filmen dargestellt wurde. Mein geliebtes Los Angeles hat wahrscheinlich nie existiert. Aber in meiner Vorstellung ist es lebendig. Und in gewisser Weise ist das Kino für mich echter und wahrhaftiger als das eigentliche Leben.


Das müssen Sie mir erklären.
Weil es ein Teil von mir geworden ist. Es ist konzentrierte Realität. Und was wir im Film sehen, ist ja tatsächlich passiert. Auch wenn der Dialog im Drehbuch stand. Vor der Kamera haben zwei Menschen miteinander gesprochen. Ich finde Film unendlich faszinierend.


Aus Texas sind Sie als junger Mann nach New York geflüchtet und haben dort eine wilde Zeit in Nachtclubs und in der Modeszene erlebt. Von dort haben Sie sich aber schnell in Richtung Europa orientiert. War Ihnen New York zu langweilig?
Ich glaube, da ging es mir wie vielen jungen Amerikanern. Alles, was irgendwie fantastisch ist, scheint aus Paris zu kommen. Allein das Wort Paris löst einen kompletten Film im Kopfkino aus, öffnet eine ganze Welt.


Wie hat Sie diese Erfahrung verändert, und wie europäisch fühlen Sie sich?
Meine Zeit in Mailand und Paris hat mich sehr verändert. In London habe ich natürlich auch gelebt, obwohl die Briten sich ja offensichtlich nicht mehr als Teil Europas sehen. Eigentlich habe ich inzwischen länger in Europa als in den USA gelebt. Ich sehe mich inzwischen als eine Art Hybrid. Meine Seele ist amerikanisch. Aber ich erlebe immer wieder einen Kulturschock, wenn ich in meine Heimat zurückkomme, gerade jetzt. Der Gegensatz wird immer größer. Und das ist einer der Gründe, warum ich gerade gern in Europa bin. Wenn ich hier den Fernseher einschalte, kann ich noch richtige Nachrichten sehen und nicht irgendeine merkwürdige Unterhaltungsshow. In den USA sehe ich statt Nachrichten eine Diätshow mit Prominenten. Es ist gruselig.


Fällt es Ihnen eigentlich leicht, nach Ihrer Arbeit als Regisseur wieder in der Modebranche aktiv zu werden?
Das ist eine schwierige Frage. Ich mag an der Modebranche die Tatsache, dass alles relativ schnell geht. Ich kreiere gern, hier kann ich das Ergebnis schneller sehen. Angenommen, ich hätte ein neues Drehbuch, es würde mindestens ein Jahr dauern, bis ich mit den Dreharbeiten beginnen könnte. Was sollte ich inzwischen tun? Und es klingt widersprüchlich, aber ich bin gern Stimme und Einfluss der tagesaktuellen Kultur. Obwohl ich gleichzeitig eine gewisse Verachtung für sie hege.


Und trotzdem arbeiten Sie weiter im Modegeschäft?
Ich weiß, es klingt ein bisschen irre. Schließlich bin ich einer der Menschen, die für diese Oberflächlichkeit verantwortlich sind. Aber ich habe mich im Lauf der Jahre mit diesem Widerspruch arrangiert. Wir sind nun einmal materielle Wesen und leben in einer materiellen Welt. Kaschmir fühlt sich toll an. Schönheit bereitet mir sehr große Freude. Diese Tatsache kann ich nicht verleugnen. Aber sie darf auch nicht der bestimmende Faktor in meinem Leben werden. In unserer Kultur versucht man, uns etwas zu verkaufen, das eigentlich nie existiert hat: dieses Konzept von Glück. Wenn du dies kaufst und das tust, wirst du glücklich sein. Aber das ist nicht realistisch. Du kannst einen glücklichen Morgen erleben und am Nachmittag todunglücklich sein. Das nennt man Leben. Aber wir erwarten etwas anderes. Und deswegen werden so viele Antidepressiva ver­­schrieben. Wir denken ständig, irgendetwas mit uns sei nicht in Ordnung, weil wir nicht glücklich sind, obwohl wir uns all diese Produkte kaufen.


Sie sind früher in Werbespots aufgetreten. Wollten Sie eigentlich Schauspieler werden?
Ich wollte seit meinem fünften Lebensjahr Schauspieler werden. Das habe ich mir unglaublich glamourös vorgestellt. Schauspieler hatten diesen schillernden Status. Aber ich war ein schrecklicher Schauspieler.


Warum?
Ich war vor der Kamera sehr unsicher. Ich konnte einfach nicht loslassen. Und ich habe es irgendwann wirklich gehasst. Deswegen war meine Karriere als Schauspieler sehr kurz. In erster Linie bin ich in Fernsehwerbung aufgetreten, weil ich wie der Junge von nebenan aussah. Aber ich habe gutes Geld damit verdient.


Für welche Produkte haben Sie geworben?
Das werde ich Ihnen garantiert nicht verraten . . . Ich will ja nicht, dass Sie die alten Spots irgendwo ausgraben. In der Screen Actors Guild (US-Schauspieler­gewerkschaft, Anm.) gab es damals schon einen Tom Ford. Deswegen bin ich unter Pseudonym eingetreten. Und das werden Sie niemals herausfinden.
Wie wird man eigentlich Muse?
Warum fragen Sie das? Wollen Sie Muse werden?


Könnte ich eine Muse werden?
Also, Sie müssten jemanden finden, der Sie als Musen-Material für würdig befindet. Das ist eine sehr persönliche Angelegenheit. Die Muse existiert ja eigentlich im Auge des Betrachters. Ich bin mir ziemlich sicher, für irgendjemanden könnten Sie Muse sein. Aber ernsthaft. Ich bin keine Frau. Deswegen brauche ich in meinem Leben starke Frauen, die mich inspirieren und die ich respektiere. Es müssen Frauen sein, an denen ich meine Kleider sehen will. Würde sie das tragen? Würde sie es toll finden? Passt diese Mode in ihr Leben? So entwickle ich meine Vision von Mode für Frauen.


Und wenn Sie Mode für Männer machen?
Dann bin ich meine eigene Muse. Mein Label habe ich ja damals eröffnet, weil es keine Mode gab, die ich tragen wollte. Und noch bin ich im richtigen Alter. Noch habe ich die richtigen Model-Maße und passe in meine Sachen. Ich probiere alles selbst aus und designe Dinge, die fehlen. Wenn ich das Gefühl habe, ich finde nirgendwo ein Paar von bestimmten Boots, dann lasse ich sie produzieren. Oft denke ich: Wenn ich noch Mitte zwanzig wäre und auf eine Party gehen würde, hätte ich Lust, dieses Outfit zu tragen? Und wenn das so ist, dann bleibt es Teil der Kollektion.

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