Abschalten per Gesetz

Auszeit per Gesetz. Frankreich versucht, mit einem neuen Arbeitsgesetz arbeitswillige Mitarbeiter vor sich selbst zu schützen.
Auszeit per Gesetz. Frankreich versucht, mit einem neuen Arbeitsgesetz arbeitswillige Mitarbeiter vor sich selbst zu schützen.(c) Bilderbox
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Frankreich hat seit 1. Jänner das weltweit erste Gesetz, das Arbeitnehmern ein Recht auf Abschalten einräumt. Aber lässt sich Ruhe mit Paragrafen verordnen?

Französische Arbeitnehmer dürfen auch an diesem Sonntag. Wenn sie wollen. Rund um die Uhr zu ihrem Smartphone greifen, vor dem Schlafengehen E-Mails lesen oder ihrer Chefin ein SMS mit Details für die montägliche Morgensitzung schicken. Aber sie müssen nicht. Seit 1. Jänner räumt ihnen ein neuer Passus im Arbeitszeitgesetz ein sogenanntes Recht auf Abschalten ein. Wer nicht will, muss also nicht rund um die Uhr und außerhalb der Arbeitszeiten für seinen Arbeitgeber erreichbar sein. Unternehmen wird damit allerdings nicht verboten, ihren Mitarbeitern E-Mails zu schicken. Nur dürfen die Arbeitnehmer nicht mehr benachteiligt werden, wenn sie solche Anfragen nach Dienstschluss ignorieren.

Damit hat Frankreich das weltweit erste Gesetz eingeführt, das Arbeitgeber dazu anhalten soll, die Freizeit ihrer Angestellten zu respektieren. Dass das just im Jahr zehn nach der Einführung des iPhone passiert, ist kein Zufall (siehe Titelgeschichte Seite 18, 19). Die Arbeitswelt hat sich dank des Internets, der Laptops und Smartphones innerhalb der vergangenen zwanzig Jahre revolutioniert, und die ersten negativen Folgen sind spürbar. Frankreichs sozialistische Regierung von François Hollande will mit dem Gesetz zum einen die steigende Zahl von Burn-out-Krankheiten eindämmen und zum anderen Arbeitgeber davor schützen, nicht verlangte Überstunden ihrer Mitarbeiter zu bezahlen.

Zwölf Prozent der Arbeitnehmer in Frankreich leiden unter einer Arbeitsüberlastung. Auch in Deutschland zeigen Untersuchungen, dass mittlerweile jeder zweite Berufstätige nach Dienstschluss seine Mails abruft und jeder Dritte dies auch im Urlaub tut. Schon seit 2014 wird daher über eine Anti-Stress-Verordnung diskutiert, die Ähnliches regeln soll wie das französische Gesetz. Der Vorschlag kam von der sozialdemokratischen Arbeitsministerin Andrea Nahles. Doch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) richtete der Regierungspartnerin damals schnell aus, dass sie einer Anti-Stress-Verordnung „sehr kritisch gegenüberstehe“. Auch Nahles' Parteifreund Sigmar Gabriel war gegen ein solches Gesetz und sah stattdessen die Gewerkschaften und die Arbeitgeber in der Pflicht, Regelungen einzuführen, die die Dauererreichbarkeit von Arbeitnehmern einschränkt. In Österreich stand eine solche Regelung bislang noch nicht auf der politischen Tagesordnung.


Nur für Firmen ab 50 Mitarbeitern. Das neue Gesetz in Frankreich gilt nur für Unternehmen ab einer Größe von 50 Mitarbeitern. Sie müssen mit den Sozialpartnern ausverhandeln, wie sie Angestellte vor dem pausenlosen Arbeiten schützen können. Dabei haben große Unternehmen wie Orange oder Michelin schon seit Längerem interne Regeln für die Erreichbarkeit von Mitarbeitern erlassen.

So positiv das neue Arbeitsgesetz auf den ersten Blick aussieht, so sehr kann man über seine Wirksamkeit diskutieren. Lässt sich Ruhe durch Paragrafen einführen? Bis zu einem gewissen Maß natürlich. So haben strikte Arbeitszeitgesetze Arbeiter zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Zwölf-Stunden-Tagen und mehr erlöst. Schon schwieriger ist die Frage, ob sich Verhaltensweisen per Gesetz ändern lassen. Denn auch bisher waren die meisten Angestellten nicht dazu verpflichtet, rund um die Uhr erreichbar zu sein, sondern sie wollten es. Gerade Menschen, die gern Verantwortung übernehmen und mit Freude arbeiten, wird ein solches Gesetz nicht davon abhalten, sich mit voller Energie in die Arbeit zu stürzen. Aber es kann für die, die sich vom Arbeitsmarkt unter Druck gesetzt fühlen, eine Stütze sein.


Selbstbestimmung ade. Daniela Zeller, die in Wien als systemischer Coach und Stimmtrainerin arbeitet, sagt, sie hält von solchen Gesetzen „gar nichts“. „Die Gegebenheiten in unserer globalisierten Welt haben sich geändert. Das klassische Nine-to-five-Denken und -Arbeiten funktioniert in vielen Branchen nicht mehr, da helfen auch staatliche Einschränkungen nichts.“ Die Entwicklung der Dauererreichbarkeit hat für Zeller Vor- und Nachteile: „Einerseits fördert sie ein selbstbestimmtes Arbeiten und Leben. Andererseits unterstützt sie den Menschen auch in seinem Hang zur Maßlosigkeit. Dass es weder für den Geist noch für den Körper gesund ist, rund um die Uhr auf Empfang zu sein, ist ja nichts Neues. Es ist wichtig und notwendig, dass jeder Mensch für sich lernt, seine eigenen Grenzen wahrzunehmen und danach zu handeln.“ Dazu gehöre es, Nein sagen zu können oder sich zu trauen, bestimmte Dinge vom Arbeitgeber oder seinem sonstigen Umfeld einzufordern. Ihr sei es als Vorgesetzte wichtig, ihren Mitarbeitern möglichst viel Freiraum und Handlungsspielraum zu geben. „Es ist aber auch meine Aufgabe, darauf zu achten, dass niemand ausbrennt. Sehe ich, dass mein Team auch außerhalb der regulären Arbeitszeit (und freiwillig) Mails beantwortet hat, weise ich explizit darauf hin, dass dies zwar sehr schön, aber kein Muss ist. Meine Mitarbeiterin antwortet in dieser Situation immer, dass sie es schätzt, dass sie selbstbestimmt auch einmal später kommen oder früher gehen oder einen Homeofficetag einlegen kann und sie dafür gern hin und wieder am Abend in aller Ruhe kurz die Mails checkt.“

Fest steht allerdings, dass nicht jeder Arbeitgeber auf ein gesundes, ausgeglichenes Arbeitspensum seiner Mitarbeiter achtet. Mit dem neuen Gesetz in Frankreich können Mitarbeiter ihre Ruhephasen einfordern. Der Idealfall sollte aber ein anderer sein, so Zeller. Und zwar dass Arbeitgeber und Mitarbeiter ein gemeinsames Ziel haben, für das sie arbeiten. „Im Idealfall arbeiten sie in einer Unternehmenskultur, in der jeder seine eigenen Grenzen kennt und diese achtet und in der es einen regen kommunikativen Austausch gibt. Das bringt uns alle sehr viel weiter als irgendein Gesetz.“

Auf einen Blick

Seit 1. Jänner gilt in Frankreich das sogenannte Recht auf Abschalten. In einem Zusatzpassus zum Arbeitsgesetz wurde festgelegt, dass Arbeitnehmern ab sofort kein Nachteil daraus erwachsen darf, wenn sie außerhalb der Dienstzeiten nicht mehr erreichbar sind. Das Gesetz gilt für Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern. Diese müssen interne Regeln erarbeiten, wie die Dauererreichbarkeit von Angestellten eingedämmt werden kann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.01.2017)

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