Dior: Beginn einer Ära

New Dior. Maria Grazia Chiuris erste Kollektion – ein starkes Frauenbild.
New Dior. Maria Grazia Chiuris erste Kollektion – ein starkes Frauenbild.(c) Morgan O´Donovan
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Vor genau 70 Jahren revolutionierte Christian Dior mit der „Ligne corolle“ das Modebild. Im Jubeljahr werkt erstmals eine Frau an der Spitze des Hauses: Maria Grazia Chiuri hat ebenfalls Großes im Sinn.

Der Blütenkelch hat die Funktion, die Blüte im Knospenzustand zu schützen, zur Ausbreitung des Blütenstaubs beizutragen und befruchtende Insekten anzulocken. Blumen haben ja immer schon die Fantasie der Menschen beflügelt und sind ein unverzichtbares Attribut mythologischer und religiöser Figuren; floreale Metaphern und Symbole haben in der Kunstgeschichte und Literatur eine jahrtausendealte Tradition. Auch in der Mode spielen Blumen seit jeher eine wichtige Rolle, sei es als Stickerei, Dekoration oder als Print. Für die Modegeschichte des 20. Jahrhunderts hat die Blumensymbolik eine besondere Bedeutung, denn „Ligne corolle“, also Blütenkelchlinie, war der Name der ersten, legendären Kollektion von Christian Dior. Am 12. Februar 1947, wenige Monate nachdem Dior mit Unterstützung des Investors und Industriellen Marcel Boussac das Maison Christian Dior in der Pariser Avenue Montaigne eröffnet hatte, fand die Präsentation der „Ligne Corolle“ vor versammelter nationaler und internationaler Presse statt. Carmel Snow, die ehrwürdige Chefredakteurin des amerikanischen „Harper’s Bazaar“, war so angetan, dass sie von einem New Look sprach: Unter diesem Namen ist die „Ligne corolle“ dann auch in die Annalen der Mode eingegangen.

Kurvenreich. Während der deutschen Besatzung hatte sich die Pariser Haute Couture unter schwierigsten Bedingungen den neuen weiblichen Rollenanforderungen mit stark betonten Schultern und kniekurzen, eng geschnittenen Röcken angepasst. Dior räumte damit auf und machte mit der „Ligne corolle“ einen Vorschlag für eine wiedergefundene Weiblichkeit: Runde, weiche Schultern, betontes Dekolleté, enge Wespentaille und weite, schwingende, wadenlange Röcke betonten die weibliche Silhouette. Ganz neu war der New Look freilich nicht. Dior zitierte mit der „Ligne corolle“ vergangene Moden und war auch nicht der erste Couturier, der hautenge Bleistiftröcke durch krinolinenartige Röcke ersetzte.

Mode-Anthologie. Das Buch „Dior 1947–1957“ ist bei  Assouline erschienen.
Mode-Anthologie. Das Buch „Dior 1947–1957“ ist bei Assouline erschienen.(c) Laziz Hamani

Jedoch perfektionierte er den Look und besiegelte damit seinen internationalen Erfolg. Für Furore sorgte die Tatsache, dass Diors Modelle zehn bis 25 Meter Stoff beanspruchten, Abendkleider verschlangen sogar bis zu 80 Meter, und das während der noch immer für den Großteil der Bevölkerung anhaltenden Stoffrationierung. Der bekannteste Look aus der „Corolle“-Kollektion ist wohl das „Bar“-Kostüm, wie es auf einem berühmten Foto von Willy Maywald vor einem schlichten Straßenhintergrund entlang der Seine glamourös in Szene gesetzt wurde. Das „Bar“-Kostüm bestand aus einer streng taillierten, geknöpften, hellbeigefarbenen Jacke aus Seidenshantung mit abgerundetem Saum, getragen zu einem ausladenden, schwarzen Plisseerock aus Wolle und einem kleinen Hut. Dior arbeitete mit raffinierten Drapierungen, Doppelrockeffekten und strategischen Falteneinsätzen, um die schmale Hüfte zu betonen und glamouröses Volumen für die weiten Röcke zu erzeugen.

Für das kurzärmelige, saphirblaue Abendkleid „Chérie“ aus der „Corolle“-Kollektion wurden etwa mehr als zwölf Meter Seidentaft in der Taille gefaltet. In den folgenden Jahren wurde The New Look zu einer Art Losungswort für Dior, und von Saison zu Saison kamen mehr Innovationen. Mit der Opulenz, dem Glamour und der klassischen Eleganz seiner Kollektionen lieferte Dior die passende Garderobe für den Aufbruch in eine neue Ära nach den harten Kriegsjahren und antizipierte die Prosperität und den Optimismus der Wirtschaftswunderjahre.

Dior definierte mit seinen Kreationen den modischen Zeitgeist der Fünfzigerjahre. Seine Kundschaft aus der Hocharistokratie in Europa, dem mittleren Osten und Asien, Hollywood-Filmstars und amerikanische Millionärsgattinnen brachten ihm das große Geld. Sein Tod durch Herzversagen im Jahr 1957 kam plötzlich und unerwartet, sein gerade einmal 21 Jahre alter Assistent, Yves Saint Laurent, musste den Platz des Meisters einnehmen. Nach Saint Laurent war der Franzose Marc Bohan fast dreißig Jahre lang Chefdesigner von Dior, gefolgt von dem Italiener Gianfranco Ferré, der 1996 von dem fantasievollen Exzentriker John Galliano ersetzt wurde. Wegen einer antisemitischen Hasstirade wurde er 2011 entlassen. Nach ihm übernahm der Minimalist Raf Simons 2012 die Damenkollektion, trat jedoch Ende Oktober 2015 von dem Posten zurück. Im Juli vergangenen Jahres wurde schließlich bekannt, dass die Römerin Maria Grazia Chiuri die Leitung des Maison Dior übernehmen würde. Chiuri hatte zuvor siebzehn Jahre lang gemeinsam mit ihrem Designpartner Pierpaolo Piccioli bei Valentino in Rom gearbeitet, die letzten acht Jahre haben sie die Couture- und Prêt-à-porter-Kollektionen entworfen.

New Look. Das Modell „Chérie“ aus Diors 1947 präsentierter „Ligne Corolle“-Kollektion.
New Look. Das Modell „Chérie“ aus Diors 1947 präsentierter „Ligne Corolle“-Kollektion.(c) Laziz Hamani

Kaleidospkop. Bei Dior ist Maria Grazia Chiuri nun auf sich allein gestellt, Piccioli blieb in Rom als Chefdesigner von Valentino. Chiuris erste Kollektion für Dior, die im vergangenen Herbst in Paris gezeigt wurde, entfaltete sich auf dem Laufsteg als ein Kaleidoskop verschiedener weiblicher Selbstentwürfe: Athletische Fechterinnen ganz in Weiß eröffneten das Defilee, gefolgt von selbstbewussten Intellektuellen im Chiffonrock und feministischen Slogan-T-Shirt, umtriebigen Großstadtkriegerinnen in Lederjacken, schmalen Hosen und Blazern und verträumten Party-Queens in filigran bestickten, transparenten Organzaroben. Letztere waren eine direkte Hommage an Monsieur Dior und sein kurzes Abendkleid „Miss Dior“ aus dem ­
Jahr 1949.

Neben den romantischen Blütenranken waren auch die verspielten Tarot-Stickereien auf den Abendkleidern eine Reminiszenz an den Gründer des Hauses, genauso wie die betonte Taille, die raffinierten Drapierungen und das Farbspektrum der Kollektion von Weiß, Schwarz und Rot bis zu pastelligen Sandtönen. Chiuri ließ sich aber auch von ihren anderen Vorgängern inspirieren, und so blitzte etwa das berühmt-berüchtigte „J’adore Dior“-Motto, das Galliano in den Nullerjahren zum Leitmotiv des Dior-Brandings erkoren hatte, auf Rockbünden und Trägern hervor. Ganz klar – Chiuri soll der Marke ein erkennbares Markenprofil verschaffen, und in Zeiten von Instagram und Snapchat führt dabei kein Weg an Logos und Slogans mit hohem Wiedererkennungswert vorbei. Chiuri plant eine neue Ästhetik und ein neues, modernes Frauenbild für Dior – „a New Dior“, würde Carmel Snow heute vermutlich sagen.

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