Große Roben in Paris: So haute!

Looks von Schiaparelli, Maison Margiela, Armani Prive mal zwei (v.l.n.r.).
Looks von Schiaparelli, Maison Margiela, Armani Prive mal zwei (v.l.n.r.).(c) Illustrationen: Onka Allmayer-Beck
  • Drucken

Große Roben für besondere Anlässe. Die in Paris gezeigten Haute-Couture-Kollektionen für den Frühling besannen sich auf das Wesentliche – mit einer Ausnahme.

So aufregend, doch, bei aller dargebotenen Schönheit, offenbar auch aufreibend ist das Leben von allen aus Berufsgründen am Modetreiben Teilnehmenden mittlerweile, dass die wenigen Tage der Haute-Couture-Präsentationen in Paris fast eine Oase der Stille darstellen. Es gibt weniger Pflichttermine, mehr Zeit und Aufmerksamkeit für die kostbaren, ja einzigartigen Kreationen, die gezeigt werden. Dementsprechend entspannt könnten auch jene ausgesuchten Journalisten sein, die neben den echten Couture-Kundinnen (einige Dutzend sind es höchstens auf der ganzen Welt, und die meisten von ihnen wollen selbstverständlich das Defilee sehen) zu den Shows zugelassen werden. Und doch liegen bei manchen von ihnen schon am Anfang des Modemarathons offenbar die Nerven blank: Anders ist es nicht zu erklären, dass ein Journalist der amerikanischen „Vogue“ seine für die Online-Ausgabe des Magazins verfasste Kritik der Kollektion von Elie Saab zu einem Drittel der rüden Behandlung widmete, die ihm in seinem Frontrow-Sitz zuteil wurde.

Das ist umso bedauernswerter (wenn man davon ausgeht, dass Laufstegkritiken noch eine Relevanz haben), als Elie Saab für seine Haute-Couture-Präsentation nahezu pädagogischen Eifer entfaltet hat: In einem eigens angefertigten Magazin wurden die Inspirationen des gebürtigen Libanesen dargelegt. Der Exotismus qua Couture ist im Grunde ja ein bewährtes Rezept, man erinnere sich nur an die gleich Souvenirs von einer Russland-Reise heimgebrachten Inspirationen für eine der legendärsten Kollektionen von Yves Saint Laurent. Saab zog es in Gedanken diesmal zur noblen und eleganten Gesellschaft im Ägypten des Fin de Siècle und frühen 20. Jahrhunderts: Ein historisch wertvoller Fingerzeig für seine wohlhabende Kundenschar aus dem arabischen Raum, die sich mit dieser Kollektion bestimmt gut wird anfreunden können.

Looks von Dior, Chanel, Viktor & Rolf (v.l.n.r.).
Looks von Dior, Chanel, Viktor & Rolf (v.l.n.r.).(c) Illustrationen: Onka Allmayer-Beck



Pragmatisch gedacht. Mit ihrer ersten Haute-Couture-Kollektion für Dior unterstrich Maria Grazia Chiuri, dass sie sich auf die Königsdisziplin der Mode blendend versteht. Außerdem beeilte sich die vor einer Saison von Valentino abgeworbene Designerin mit Entwürfen, die teilweise auf das 70-Jahr-Jubiläum der von Christian Dior begründeten „Ligne corolle“ verwiesen, auf die wirtschaftliche Dimension der Haute Couture aufmerksam zu machen. In ihrer Blütezeit, die mindestens zwei Drittel des 20. Jahrhunderts abdeckte, waren große Gesellschaftsereignisse der besten Pariser Kreise und des internationalen Jetsets ausreichend, um Couture-Ateliers über Monate auszulasten. Das von Chiuri gewählte Motto eines „Bal masqué“ (aufgegriffen auch in einer sehr social-media-kompatiblen, pompösen After-Party) w ar also bei allem Glamour durchaus nicht nur weltentrückt zu verstehen, sondern verwies auf eine wichtige Einnahmequelle der Zunft. Deutlich puristischer, reduzierter als während seiner Zusammenarbeit mit Chiuri legte Pierpaolo Piccioli seine erste Solo-Couture-Kollektion bei Valentino an: nicht unschön, aber es wäre interessant, wie viele Valentino-Kundinnen sich nun bei Dior besser aufgehoben fühlen.

Auffällig bei den aktuellen Haute-Couture-Präsentationen, wiewohl in Anbetracht der, gelinde gesagt, erheblichen Anschaffungskosten für ein Kleid (eine Abendrobe kommt kolportierterweise auf mindestens 25.000 Euro) nicht eben verwunderlich, war die Tatsache, wie wenig Daywear es zu sehen gab: Wer sich diese Art von Mode leisten kann, möchte große Roben für besondere Anlässe – das war die Grundaussage der meisten Häuser. Bloß bei Chanel kann sich Karl Lagerfeld noch nonchalant erlauben, seine Kollektion mit viel Tagesgarderobe zu beginnen und als Ouvertüre zu den unvermeidlichen Abendkleidern pastellfarbene, etwas ausladend konstruierte Kostüme zu zeigen. Stets sehr nah an der von ihm vor fast 35 Jahren wiederbelebten DNA des Hauses, ließ er seine Entwürfe diesmal in einem Dekor defilieren, das inmitten des (bitterkalten!) Grand Palais an den Chanel-Stammsitz in der Rue Cambon erinnerte. So zauberhaft die leichte, mit aufwendigen Federbesätzen versehene Abendmode zum Teil auch war, so sehr mussten die vorführenden Mannequins in diesem eisigen Dekor frieren. Die Referenzierung der Rue Cambon ist diesmal übrigens doch bemerkenswert: Führte man zuletzt doch die Métiers-d’art-Kollektion im Hotel Ritz an dem Place Vendôme vor und kündigte an, auch für die anstehende Croisière-Präsentation auf eine Reise nach Übersee zu verzichten und sich erneut auf Paris zu konzentrieren. 

Als, freilich sehr kreative und formschöne, Interpretation eines Wetterberichts – ein Sommerregen ging allmählich zu Sonnenschein über – hat Jean-Paul Gaultier seine Kollektion konzipiert. Bei ihm ist nicht jedem Kleid sein „couturiger“ Charakter gleich anzusehen, was der Modernität von Gaultiers Entwürfen keinen Abbruch tut. Seit er auf das Prêt-à-porter seiner Marke verzichtet, scheint bei dem stets gut gelaunten Franzosen ein noch leichterer Esprit vorzuherrschen. Überzeugender als zuletzt war auch die Arbeit von John Galliano für das Maison Margiela, das zwischen den sehr ungleichen Visionen des vor Jahren ausgeschiedenen Gründers und von Galliano, einst dem kreativsten Paradiesvogel der Pariser Mode, schwankt. Stets sehr auf Treue zu einer legendären Figur bedacht ist Bertrand Guyon als Chefkreativer im Hause Elsa Schiaparelli: Die herausragende Persönlichkeit der italienischen Aristokratin und Modeschöpferin ist stets wichtigster Bezugspunkt für die Kollektionserstellung. Mit seiner immerhin vierten Kollektion hatte Guyon aber nun die Möglichkeit, stärker an seiner eigenen Schiaparelli-Handschrift zu arbeiten und etwa Verweise auf die Ästhetik von Guy Bourdin einzuarbeiten, der mit der Schiaparelli keinerlei Berührungspunkte hatte.

Looks von Givenchy, Valentino, Elie Saab (v.l.n.r.).
Looks von Givenchy, Valentino, Elie Saab (v.l.n.r.).(c) Illustrationen: Onka Allmayer-Beck

Überraschungsgast. Kaum je ist die Haute Couture publikumswirksamer als in jenen Augenblicken, in denen berühmte Schauspielerinnen sie zur Verleihung wichtiger Filmpreise, allen voran der Oscars, ausführen. Das wurde offenbar beim Defilee der Armani-Privé-Kollektion, bei dem in der ersten Reihe gleich zwei in diesem Jahr nominierte Schauspielerinnen zu sitzen kamen: Isabelle Huppert und Nicole Kidman waren zugegen und durften sich wohl zu überlegen beginnen, ob einige der zum Teil ebenfalls vage nordafrikanisch inspirierten und häufig in kräftigem Orange gehaltenen, elaborierten Kleider wohl Teil ihrer Festtagsgarderobe werden würden.

Donatella Versace, Armanis italienische Mitstreiterin unter den von der Fédération française de la haute couture zugelassenen Designern aus dem Ausland, brachte die Kollektion von Atelier Versace diesmal nicht auf den Laufsteg: Die Strategie der Couture-Linie wird überdacht, man verzichtete auf eine pompöse Präsen­tation und bat die Presse sogar, von einer Beurteilung der Kollektion Abstand zu nehmen. Nicht minder un­­üblich war das Defilee einer überraschenderweise ­
von der Fédération für den offiziellen Kalender zugelassenen Marke: Das von dem Deutsch-Georgier Demna Gvasalia gegründete Label Vetements ist mehr „hot“ als „haute“. Auch zeigte man verwirrenderweise nur Prêt-à-porter für den kommenden Herbst, dieses wurde aber, durchaus parodisierend, nach bewährtem Couture-Muster mit einem Brautkleid beschlossen. Gvasalia gefiel sich einmal mehr darin, Normalo-Klamotten auf den Laufsteg zu schicken, die freilich – Vetements ist ­der­­zeit absoluter Favorit unter allen gut informierten ­Fashionistas – ungeachtet ihrer Anmutung im Herbst stolz bepreist in die Läden kommen werden.

Dass diese Kollektion ausgerechnet als Teil der Haute Couture gezeigt werden durfte, ist für die anderen Maisons wie ein Schlag ins Gesicht. Dient die Vetements-Kollektion doch allemal als erdende Kontrastfolie und wirft unweigerlich die Frage auf, ob das Wirklichkeitsentrückte der Haute Couture für heutiges Modeschaffen noch die leiseste Relevanz hat. Solange diese Königinnenroben aber zahlende Kundinnen ansprechen, ist zumindest ein Teil dieses Zweifels ausgeräumt.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.