„Vulgär?“: Alles total gewöhnlich

Umgurtet. Näher an einer recht konventionellen Begrifflichkeit des Vulgären ist dieser Entwurf der britischen Designerin Pam Hogg.
Umgurtet. Näher an einer recht konventionellen Begrifflichkeit des Vulgären ist dieser Entwurf der britischen Designerin Pam Hogg.(c) Beigestellt
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Bemerkenswert in mehrerlei Hinsicht: Die große Modeausstellung „Vulgär?“
ist demnächst im Winterpalais des Belvedere zu sehen – ein Vorgeschmack.

Die Liste der möglichen Synonyme ist zwar lang; allzu viele positive Entsprechungen zu „vulgär“ lassen sich allerdings nicht auffinden: Von anrüchig über derb bis hin zu ungeschlacht und gar, freilich originell, säuisch lauten die im „Duden“ verzeichneten Vorschläge etwa. Es handelt sich also bei einer Modeausstellung wie jener, die das Belvedere in Kooperation mit dem Barbican Centre demnächst nach Wien bringt und die im Original „The Vulgar“, im Deutschen etwas zaghafter mit „Vulgär?“ überschrieben ist, also auf den ersten Blick um einen ziemlichen Schocker.

Je nun. Der Tatsache eingedenk, dass unlängst erst Massen an Besuchern dem Wien Museum seine Türen im Endspurt der „Sex in Wien“-Ausstellung eingerannt haben, ahnt man, dass das Derb-Krude oder eben Anrüchige, das so ein Titel verspricht, durchaus die Wirkung eines Publikumsmagneten entfalten kann. Bemerkenswert ist überdies, dass hier zum ersten Mal überhaupt eine große, internationale Modeausstellung von einem Wiener Haus übernommen wird. Lange konnte man sich ja fragen, wer vor Ort zur Verfügung stehen würde, um internationale Blockbuster wie etwa die um die Welt tourende Jean-Paul-Gaultier-Retrospektive zu übernehmen. Nun weiß man es: Ein etabliertes Kunstmuseum mit inhaltlicher Schwerpunktsetzung fernab der angewandten Kunst – auch ein Learning-Effekt, wenn man so will.

Ausladend. Für höfische Inszenierung im England des 18. Jahrhunderts waren voluminöse Mantuakleider gerade noch schicklich.
Ausladend. Für höfische Inszenierung im England des 18. Jahrhunderts waren voluminöse Mantuakleider gerade noch schicklich.(c) Court. Fashion Museum Bath

Wechselspiel. Die neue Direktorin des Belvedere, Stella Rollig, lässt dazu wissen: „Die Zurschaustellung von Kleidung an einem musealen Ort bringt sie in einen neuen Kontext, der mehr bieten kann als die Schaufenster der Modehäuser.“ Die Übernahme der vom Barbican Centre in London produzierten Schau geht freilich nicht auf sie, sondern ihre Vorgängerin zurück. Rollig holte aber schon in das Linzer Lentos vereinzelt Mode-Positionen, die im Wechselspiel mit bildender Kunst gezeigt wurden: „Kunst und Mode haben sich immer wieder gegenseitig inspiriert“, hält die Direktorin diesbezüglich fest.

Bei „Vulgär?“ geht es darum freilich gar nicht: Es handelt sich tatsächlich um eine rein modegeschichtlich bzw. -soziologisch angelegte Ausstellung. Der Ausgangspunkt ist gewissermaßen interdisziplinär: elf Definitionen des Vulgären, vorgelegt von dem britischen Autor und Psychoanalytiker Adam Philipps, dienen als Grundlage für einen Dialog mit der Modetheoretikerin Judith Clark, als welcher sich der Ausstellungsparcours entspinnt. Clark greift die elf vorgegebenen Themenkomplexe (etwa: „Selbstdarstellung“, „Puritanismus“, „Extreme Körper“ oder „das neue Barock“) auf und reflektiert sie durch eine Zusammenstellung passender Positionen aus der Kostümgeschichte. Viele von ihnen sind zeitgenössisch (und damit doch wieder nicht allzu weit entfernt von den Schaufenstern der Modehäuser, siehe oben), manches aber historisch und durchaus kurios.

Neo-Barock. Entwürfe von Iris van Herpen und Nicolas Ghesquière für Louis Vuitton vor einer Winterpalais-Tapete.
Neo-Barock. Entwürfe von Iris van Herpen und Nicolas Ghesquière für Louis Vuitton vor einer Winterpalais-Tapete.(c) Beigestellt

So sehr sich Philipps freilich abmüht, mit seinen – gleichwohl originellen und kundigen – Definitionen eine möglichst große Bandbreite abzustecken: Oftmals kommt es zu Dubletten, die begrifflichen Überlappungen in verschiedenen Kapiteln sind nicht zu übersehen. Noch stärker äußert sich das bei der kostümhistorischen Übersetzung der Theorieaspekte durch Judith Clark: Gar manches Exponat würde ohne weiteres in mehreren Abschnitten funktionieren. Historisierende Kleider etwa könnten ebenso gut als Interpretation des Neo-Barocken gelesen werden wie als extreme Ausprägungen der Körperform oder als Parvenu-Mode.

Monumental. Während das Barbican Centre ein sehr eigenwilliges Ensemble ist – und ein Juwel der brutalistischen Architektur –, wird das Winterpalais des Belvedere der Ausstellung ein völlig anderes Setting bieten. Im Barbican waren, etwa in einem dem Neo-Barock gewidmeten Abschnitt, Fototapeten mit Wänden des Winterpalais als Hintergrund angebracht worden. In Wien kann das selbstverständlich entfallen. Der aufseiten des Belvedere zuständige Kurator, Alfred Weidinger, verweist im Gespräch wiederholt auf den für ihn besonders bedeutsamen Aspekt der offen angelegten Ausstellungsarchitektur: „Mehr als in London existiert bei uns eine Monumentalität des Ortes. Daraus ergibt sich unweigerlich die Chance, die Ausstellung auf eine andere Begriffsebene zu stellen. Vielleicht wird sie in Wien eine Spur frecher, weniger museal sein als in London.“ Er hofft auch, den Dialog zwischen Clark und Philipp leichter lesbar zu machen, als dies in London seiner Meinung nach der Fall war.

Überzeichnet. Zu jenen Designern, die eine extrem überzeichnete Silhouette präsentierten, zählt etwa der Belgier Martin Margiela.
Überzeichnet. Zu jenen Designern, die eine extrem überzeichnete Silhouette präsentierten, zählt etwa der Belgier Martin Margiela.(c) Beigestellt

Ein bisschen weniger Fläche als im Barbican Centre steht freilich zur Verfügung. Deswegen, oder wegen anderer Auflagen, wird etwa die in London prominent gezeigte Supermarkt-Kollektion von Karl Lagerfeld von Chanel nicht mehr zu sehen sein. Ebenso wenig wie – das mag überraschen – Goldhauben aus den Beständen des Wien Museums. Dennoch lockt die Ausstellung ihre Besucher mit großen Namen – und das ist ja ein Novum in Wien: Galliano für Dior, Ghesquière und Jacobs für Louis Vuitton, Prada und Lacroix wird es etwa zu sehen geben. So kann sich auch jeder Besucher anhand sehenswerter Ausstellungsobjekte nochmals Gedanken darüber machen, ob, wie in der Wahrnehmung manch skeptischer Beobachter, womöglich die Mode in Bausch und Bogen als ein vielstimmiges Gezeter des Vulgären zu verstehen ist. In seiner besten und selbstbewusstesten Ausprägung, versteht sich.

Tipp

„Vulgär? Fashion Redefined“. Die von Judith Clark und Adam Philipps kuratierte Modeausstellung, zuletzt gezeigt im Barbican Centre in London, wird von 3. März bis 25. Juni im Winterpalais des Prinzen Eugen zu sehen sein. Weitere Informationen auf www.belvedere.at

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