Sport? Ja, um den ging es in Kitzbühel am Rande auch

Wenn die Weißwurst ruft: Arnold Schwarzenegger führte die prominenten Besucher beim Stanglwirt an.
Wenn die Weißwurst ruft: Arnold Schwarzenegger führte die prominenten Besucher beim Stanglwirt an.APA/ROLAND SCHLAGER
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Ein Super-G, eine Abfahrt, ein Slalom, 100.000 Besucher, 40 Millionen Euro Umsatz: Die Skirennen bilden den Rahmen für ein Wochenende, über das man nur in Superlativen sprechen kann. Ein Streifzug durch Kitzbühel.

Man muss ein wenig suchen, um den Eingang zu finden. Er versteckt sich hinter einem großen Videobildschirm, auf dem die Skirennen übertragen werden. Drinnen im Kitzbüheler Stadtmuseum sitzt einsam eine freundliche Angestellte. Ja, man habe offen, und nein, an Tagen wie diesen sei wenig los.

Dabei wissen die Menschen gar nicht, was ihnen entgeht. Das Museum hat eine der größten Sammlungen des bekannten Tiroler Landschaftsmalers, Alfons Walde. Etwa 60 Bilder Waldes, der 1958 in Kitzbühel gestorben ist, sind ganz oben im Dachgeschoß und im dritten Stock ausgestellt, die meisten eine Leihgabe der Familie Walde-Berger.

„Aufstieg“ etwa, sein wohl bekanntestes Bild, „Aurach Kirchl“, „Almen im Schnee“ – es sind beeindruckende Gemälde, die man ganz für sich alleine hat, während sich draußen die Menschen drängen. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Für den Mann, der viel zur Entwicklung des Tourismus in Kitzbühel beigetragen hat – Alfons Walde entwarf beispielsweise den Schriftzug „Kitzbühel“, der heute noch in Verwendung ist, und setzte ein bunteres Stadtbild im Zentrum durch, weil er die weiß-grauen-Häuser zu unattraktiv fand –, interessiert sich niemand.

Aber es wäre auch zu viel verlangt. In diesen Tagen geht es in Kitzbühel nicht um Kultur, es geht um Sport. Nein, auch um den geht es nur am Rande. Er ist lediglich Anlass für das, um was es fast 100.000 Besuchern wirklich geht: darum, drei Tage lang ausgelassen Spaß zu haben und – je nach Gesellschaftsschicht – Prominente zu sehen oder als Prominenter gesehen zu werden.

Mekka der Supercars

Man bemerkt es schon bei einem gemächlichen Spaziergang durch die Stadt. Hier werden Trophäen ausgeführt, weibliche wie auch – die Frauen haben sich emanzipiert – männliche. Es wird nur in den wenigsten Fällen echte Liebe sein, die diese oft ungleichen Paare zusammengebracht hat. Hier kann man auch wieder Pelz tragen, und macht es auch. Die einen stört es nicht, die anderen bewundern es und der Verein gegen Tierfabriken weiß es offenbar noch nicht.

Und natürlich gibt es motorische Trophäen. Nirgendwo sonst in Österreich gibt es eine solche Dichte an teuren Autos wie in Kitzbühel rund um das Hahnenkammrennen – und das hat nicht nur mit dem Hauptsponsor Audi zu tun. Die Stadt ist im Winter das alpine Mekka der Supercars. Man sieht vor allem teure Mercedes-G-Geländewagen – braucht man ja schließlich im Schnee –, oft in der 544 PS starken AMG-Version, die hier ein klein wenig mehr Berechtigung hat als auf den Straßen von Beverly Hills. Aber nicht viel mehr.

Das wirkliche Schaulaufen startet am Freitagabend, wenn Balthasar Hauser mit der ersten ausgezuzelten Weißwurst den Startschuss für das Partywochende gibt. Schauen wir uns an, was in Kitzbühel alles geboten wird: Neben der Weißwurstparty beim Stanglwirt – 145 Euro Eintritt für Würste, Bier und Rosé-Sekt – kämpfen am Freitag auch das Take Five mit einer „Glamour Party“ – 200 Euro Eintritt inklusive vier Longtrinks, ohne Sitzplatz – und das Grand-Tirolia-Hotel mit dem Elite-Club – 55 Euro für Eintritt und nichts, 280 Euro für Eintritt und Essen – um Gäste.

Die großen Events hat man sich fein aufgeteilt, denn am Samstag gibt es das zweite Massenessen nach der Weißwurst, die Schnitzelparty in Rosis Sonnbergstuben. Beide Veranstaltungen sind natürlich schon lange im Vorhinein ausverkauft, auch wenn man beim Stanglwirt heuer für das Fest zusätzlich eine ganze Tiroler Almhütte aufgebaut hat, um noch mehr Menschen unterbringen zu können. Bei Rosi gibt es Frittatensuppe, Schnitzel und Kaiserschmarren, Bier, Wein, alkoholfreie Getränke, Tee und Wodka, vor allem aber Gin Tonic um eine Pauschale von 225 Euro. Wer es kulinarisch etwas gehobener haben will, der geht zur Hummerparty im Hotel Kitzhof – 99 Euro für einen halben Hummer und ein Glas Champagner.

Warten auf Schwarzenegger

Am Samstag, nach der Abfahrt, hat man überhaupt die Qual der vielen Partys: Die Goldrausch After Race Party in der Tenne (50 Euro Eintritt), das After Race Clubbing in der Trattoria Luigi (40 Euro inklusive Bier und Wein) und die Playboy-Party – ja, den gibt's noch (Eintritt: 75 Euro für Männer, 35 Euro für Frauen). Ein kleines Restaurant veranstaltet ebenfalls ein Schnitzelessen, in einer etwas kleineren Dimension als die Rosi halt. Es scheint schon zu stimmen, was man über diese drei Tage sagt: Jeder Kitzbüheler, der einen Keller hat, stellt ein Bett hinein, und jeder, der ein Bier aufmachen kann, verkauft eines.

Ach ja, und dann ist da natürlich auch noch das berühmte „Londoner“, eine Zeitoase aus den 1970er-Jahren, in dem mindestens zehn Mal am Abend „American Pie“ von Don McLean gespielt wird. Allerdings ist hier selten jemand, der älter als 30 ist – und wenn, dann ist es meist peinlich.

Nicht aufgezählt sind all die Partys, auf die man nur kommt, wenn man eine persönliche Einladung hat. Zur Audi Night etwa, von der Society-Magazine wissen, dass die Stardichte besonders hoch sei. Zur A1 Kitz Night bei der Rosi am Freitagabend, für österreichische Prominente ein Top-Event, oder überhaupt zum Kitz Race Club von Harti Weirather. In das einstöckige, hausähnliche Zelt mit Parkettboden und Kronleuchter direkt im Zieleinlauf kommt man nur, wenn man ganz, ganz besonders wichtig ist. Oder wenn man sich einkauft – etwa 5000 Euro kostet die dreitägige Sonderbehandlung.

Echte Stars müssen das natürlich nicht, sie werden hofiert. Und diese Veranstaltungen leben davon, dass man sie genug hofiert, damit jemand wie Arnold Schwarzenegger vorbeischaut. Heuer tat er das bei der Weißwurst-Party. Man muss diese Party einmal erlebt haben. Aber wirklich nur ein Mal. 2500 Menschen drängten sich am Freitagabend in den Hallen, eine Siegesfeier der germanischen Vandalen war im Vergleich dazu vermutlich ein geordnetes Kaffeekränzchen. Der Eintrittspreis von 145 Euro beschert einem nur den Eintritt in den „Klassik-Bereich“ – in die umgebaute Lipizzaner-Reithalle etwa –, wo das einfache Volk nur das einfache Volk sieht. Will man das bessere Volk sehen – heuer waren das etwa Wladimir Klitschko, Niki Lauda, Andreas Gabalier –, zahlt man 295 Euro und hat damit Zugang zum „Gold-Bereich“. Ganz oben angekommen ist man damit noch immer nicht: Es gibt noch einen „Diamant-Bereich“, in den man sich aber nicht einkaufen kann.

Die Glaubensdebatte darüber, wie man eine Weißwurst richtig isst – mit Haut oder ohne, oder sollte man sie nicht eigentlich aus der Haut herauszuzeln? –, erübrigt sich bei den Menschenmassen. Man isst die Wurst so, dass man sich selbst in dem Gedränge den geringsten Schaden zufügt – und das ist nicht immer ein schöner Anblick.

Millionenumsatz

40 Millionen Euro werden die 100.000 Menschen in der Stadt und der Umgebung gelassen haben, wenn sie heute nach dem Ganslernhang-Slalom wieder abreisen. Für die Betriebe ist das Hahnenkammwochenende ein jährlicher Lottogewinn (mit allen Konsequenzen für die Einheimischen, siehe untenstehenden Bericht). Nur deshalb hat die Wirtschaftskrise die Stadt nie wirklich erreicht, nur deshalb reiht sich in der Altstadt noch Geschäft an Geschäft ohne irgendwelche Leerstände und nur deshalb können hier mehr Fünf-Sterne-Hotels pro Einwohner wirtschaftlich überleben, als in irgendeiner anderen Stadt Österreichs.

Natürlich geht es von Freitag bis Sonntag für ein paar Stunden auch um den Sport, der all das erst möglich macht, und um die Sportler. Wobei es zum Beispiel um jemanden wie Marcel Hirscher immer geht. Auch dann, wenn er nur zu einer Pressekonferenz in die temporär aufgebaute Almhütte einer großen österreichischen Tageszeitung kommt.

Irgendwie hat man davon in Kitzbühel gehört, Dutzende Menschen stehen in der Franz-Reisch-Straße (benannt übrigens nach dem gebürtigen Kufsteiner, der die ersten Skispuren auf Kitzbüheler Boden zog) und warten. Aber Pünktlichkeit ist keine Tugend der Stars.

„Wie lange warten wir denn noch?“, fragt ein leicht genervter Jugendlicher seine Eltern. Naja, nachdem man schon eine halbe Stunde stehe – „jetzt warten wir schon noch“. Man wird auf besondere Weise dafür belohnt: Ein Kameramann, dem ebenfalls langweilig ist, filmt den kleinen Hund. Am Sonntag in den ORF-„Seitenblicken“ werde es zu sehen sein, erklärt er. „Mei, Lili“, sagt das Frauerl zum Hund, „jetzt wirst noch berühmt.“

Endlich trifft das Objekt der Begierde ein, Marcel Hirscher entsteigt einem dunklen SUV, ignoriert ob des Zeitdrucks aber die Menschenmassen und verschwindet nach einem schnellen Foto mit einem Vertreter des Bankensponsors schnurstracks in der Hütte.

Ständig Selfies

Man versteht es, wenn man den armen Mann auf der Straße gesehen hat: Ohne ständig für Selfies grinsen zu müssen, kommt er keinen Meter weit, und unterschreiben muss Hirscher alles – von der Autogrammkarte über den Helm bis zur österreichischen Fahne.

„Er sollte a bissl freundlicher sein, so lange wir uns noch für ihn interessieren“, schimpft dennoch ein enttäuschter Fan. Nicht nur das Glück ist ein Vogerl, auch der Ruhm. Wie wird es sein, wenn man zu alt ist, um Rennen zu gewinnen, und ein Jüngerer dann der neue Held der Massen ist?

Man sieht es weiter oben bei einem, der einst in den 1990er-Jahren eine Art Marcel Hirscher war. Ganz allein, die Skier geschultert, geht Hans Knauss von der Zielarena in Richtung Stadt. Schaut man den vielfachen Weltcupsieger länger als einen flüchtigen Moment an, grüßt er freundlich.

Vielleicht ist es auch ein schlechter Vergleich: So zufrieden, wie Hans Knauss lächelt, so entspannt, wie er ist – dem scheint der ganze Rummel hier in Kitzbühel nicht abzugehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.01.2018)

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