»Das schmuddelige Kraut im männlichen Gesicht«

Die lebendigste Maske der Männer: Kaum einer kennt Bärte besser als Barbara Martin, Maskenbildnerin mit Schwäche für Haariges, die ein Buch zum Thema geschrieben hat.

Als Maskenbildnerin beschäftigen Sie sich seit Jahren mit vielen Merkmalen des Gesichts. Warum haben Sie ausgerechnet den Bärten ein Buch gewidmet?

Barbara Martin: Am Theater arbeite ich viel mit angeklebten Bärten, wobei mich immer fasziniert hat, wie diese Bärte das Aussehen eines Mannes positiv, negativ oder bis zur Unkenntlichkeit verändern können – übrigens überrascht es auch manchmal, was ein angeklebter Bart mit einer Frau anstellen kann. Dann habe ich in den Neunzigerjahren von einer Bart-Olympiade in Österreich gehört, bin spontan hingefahren und habe die Teilnehmer interviewt. Da waren Männer dabei, die täglich eine Stunde brauchen, um ihren Bart in Form zu bringen. Da dachte ich: Wenn Menschen so viel Disziplin für etwas aufwenden, dann muss sich auch jemand ernsthaft damit beschäftigen.

Kann man das Thema Bärte tatsächlich ganz ernst abhandeln? Es geht doch auch um ein Spiel mit Wildheit, mit Männlichkeit.

Ich finde, dass man Bärte sehr ernst nehmen sollte, gerade weil die Träger den Bart zur Unterstreichung ihrer Persönlichkeit ernst nehmen und er viel über sie aussagt. Ich habe noch keinen Mann getroffen, der sich rein aus Jux einen Bart wachsen lässt, vor allem die neueren Bartmoden sind sehr überlegt.

Welche Bartmoden beobachten Sie?

Zum Beispiel den Barttyp „Rapper“, bei dem sich über das Kinn ein Streifen Bart von Ohr zu Ohr zieht, aber über dem Kinn schon rasiert wird. Ganz schmale Streifen auf der Unterlippe sind auch öfter zu sehen, oder Pfeile, Blitze und Punkte, die in den Bart hineinrasiert werden. Was da jetzt zum Vorschein kommt, ist ja herrlich verrückt. Manchmal sieht es richtig affig aus, manchmal aber elegant, gekonnt und verführerisch. So gesehen ist es fast schade, dass mein Buch schon geschrieben ist.


Gerade unter den jüngeren Männern fallen vermehrt solche auf, die einen natürlich wirkenden, vollen Bart tragen, der aber eigentlich gepflegt sein will.

Ja, das ist sehr verbreitet. Wir leben ja Gott sei Dank in einer Zeit, in der Männer auch aus sich herausgehen und Dinge ausprobieren können, insofern also Bärte auch einmal wachsen lassen. Mir fällt außerdem positiv auf, dass Bärte vermehrt nach den verschiedensten Wässerchen duften.


Sie haben sich intensiv mit der Geschichte der Bärte beschäftigt. In welcher historischen Periode trug man(n) besonders auffällige Bärte?

Für mich ist da das klassische Altertum spannend, die vollen, besonders gelegten und gewellten Bärte der Griechen, zum Beispiel die vielen kleinen Locken von Perikles oder die Schlangenlocken von Platon. Wobei man sich auch fragen muss, ob die Bärte wirklich so schön gelegt waren, oder ob das eher die Bildhauer so in Stein gemeißelt haben. Faszinierend waren auch die Bärte der Assyrer durch ihre Kastenform und die spiralförmigen Locken. Auffällig wenig Bärte gab es im Rokoko, in der Renaissance dann wieder mehr, etwa nach Art von Albrecht Dürer.

Wann waren Bärte gesellschaftlich oder politisch gar nicht toleriert?

Immer wieder. Die römischen Soldaten mussten sich rasieren, damit sie sich von ihren Gegnern, sozusagen den bärtigen Barbaren, besser unterschieden. Spezielle Bärte wurden historisch eher von Herrschern getragen, die auch vorgaben, wer außer ihnen sie tragen durfte, einen gepflegten Bart konnte sich nicht jeder leisten. Zar Peter der Große hat zum Beispiel lange Bärte nicht geduldet und eine Bartsteuer eingeführt, womit ihm Bärte letztlich die Kassen gefüllt haben. Auch in England gab es um 1900 Steuern auf Bärte, einfache Bärte kosteten damals halb so viel wie Koteletten.

Später haben die Männer der 1968er-Generation mit wildem Bartwuchs provoziert.

Ja, und das in einer Zeit, in der man wirklich noch hauptsächlich glatt rasierte Gesichter gesehen hat. Die Bärtigen der 1960er und 1970er passen gut in die Geschichte des Bartes, denn der Bart war immer auch Ausdruck von Weltanschauung, Schichtzugehörigkeit oder Protest gegen Althergebrachtes.


Sie haben für Ihr Buch viele Bartträger interviewt. Gibt es weltanschauliche Gemeinsamkeiten der haarigen Männer oder hat jede Bartmode ihren ganz eigenen Typ?

Es gibt eine Verbundenheit unter den Bartträgern, den gegenseitigen Respekt und den Stolz, egal ob beim Dreitages- oder beim Vollbart. Die Männer haben mir auffällig gerne über ihren Bart erzählt und sich fotografieren lassen.


Wie wichtig ist die Betonung der Männlichkeit noch? Oder anders gefragt: Was bringt der Bart dem Mann in puncto Frauen?

Der Bart ist ein Attribut von Individualität und damit ein erotisches Attribut. Das muss einem Mann aber auch so gelingen, wie er es sich vorstellt und wie es zu ihm passt. Nicht jedem wächst der Bart so, wie er ihn gerne hätte. Mit Männern, die ihren Bart nicht hinkriegen, ist es aus meiner Erfahrung gar nicht einfach. Das kann ein ziemliches Problem sein, weil Frauen gepflegte Bärte eigentlich mögen.


Verändert ein Bart das Verhalten von Männern im sozialen Kontext?

Da habe ich zwei ganz unterschiedliche Gruppen kennengelernt: Männer, die sich den Vollbart nur wachsen lassen, um sich dahinter zu verstecken, damit ihnen Menschen und Frauen im Speziellen nicht zu nahe kommen. Auf der anderen Seite sind jene, die die Botschaft „Schaut her, was für ein toller Kerl ich bin!“ transportieren, da ist der Bart auch ein Zeichen von Potenz.


In Ihrem Buch ist die Rede von der „ewigen Fehde“ zwischen Bartlosen und Bartträgern. Gibt es die wirklich?

Mir fällt auf, dass vor allem Männer ohne Bart wenig Toleranz gegenüber solchen mit Bart aufbringen. Gerade die notorisch glatt rasierten Männer sprachen in den Interviews, die ich geführt habe, oft von „Schmuddeligkeit“ und „Kraut im Gesicht“ im Zusammenhang mit Bartträgern. Man kann natürlich nicht alle in einen Topf werfen, aber tendenziell sind bärtige Männer gegenüber jenen ohne Bart deutlich toleranter, Beleidigungen habe ich von diesen Männern jedenfalls nie gehört.


Gibt es eine Art von Bart, die Sie am Landestheater in Altenburg (in Thüringen, Anm.) besonders gerne einsetzen?

Da könnte ich keinen speziellen Bart nennen, das muss ich für jede Rolle neu beurteilen. Oft gibt es schon Vorgaben, etwa dass die Figur einen Kinnbart haben muss. Dann beginne ich zu suchen, welcher Bart auch dem Gesicht des Schauspielers gut stehen könnte, dafür steht mir ein ganzer Fundus an Bärten zur Verfügung. Manchmal muss ich vier bis fünf Bärte probieren, bis etwas passt.


Sie scheinen Bärte immer noch zu mögen, trotz der intensiven Beschäftigung damit.

Ja, auf jeden Fall. Bärte bleiben deshalb spannend, weil sich mit ihnen auch die Männer verändern, die sie tragen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2012)

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