Junge Männer und ihre alten Bärte

Junge Maenner ihre alten
Junge Maenner ihre alten(c) EPA (Daniel Karmann)
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Lange galt er als Relikt großväterlicher Zeiten und als modisches No-go. Doch heute wird auch von männlichen Städtern wieder Vollbart getragen. Warum eigentlich? Eine kleine Kulturgeschichte der Gesichtsbehaarung.

Der gepflegte Vollbart als Sinnbild für natürliche, aber gekonnt gezähmte Männlichkeit – dieses Konzept scheint jene männlichen Städter, die man früher jung und hip nennen durfte, trotz modischer Individualisierung derzeit doch wieder zu vereinen. Kollektives Sprießen in der unteren Gesichtspartie lässt sich da beobachten, kurzum: Der Bart ist Thema. Diesmal schnurrt er nicht nur brav auf der Oberlippe, wie während eines etwas verkrampften 1920er-Revivals des Vorjahrs, sondern breitet sich großflächiger aus. „Der Bart ist das Rouge für den modernen Mann“, sagt Christine Wegscheider, Chefin der Haarpflege im Frisörsalon und -ausbildungszentrum Headquarters in der Wiener Schleifmühlgasse, „aber nicht nur für ganz junge, sondern auch Männer zwischen 30 und 40, die ihre Konturen schärfen wollen, wenn sie beginnen zu altern.“


Wild, aber gestylt. Das Design des Bartes sei „überhaupt sehr gefragt“, so Wegscheider – mit einem Schritt „zurück zur Natur“ habe dies allerdings wenig zu tun: Sehr gepflegte Männer, für die der gelungene Bart ein Schönheitsideal darstellt, solche sieht Wegscheider vermehrt in ihrem Salon Platz nehmen. Ähnlich wie die Wiener Szenefrisörin Katharina Grecht, die vor allem in den vergangenen zwei bis drei Jahren eine Tendenz zu natürlichen Bärten ortet, die „wild aussehen, aber doch gestylt werden müssen“.

Ein simples Modephänomen? Oder der Versuch, in einer durch und durch glatt gestriegelten Umgebung ein Zeichen des Nonkonformismus zu setzen? Vielleicht beides, vielleicht aber auch nur Bequemlichkeit. Als Sebastian Rahs vor rund eineinhalb Jahren beschloss, seinen Bart wachsen zu lassen, steckte dahinter unter anderem auch der Gedanke, nicht ständig im eigenen Gesicht herumfuhrwerken zu müssen. Wegen seiner empfindlichen Haut war tägliches Rasieren ein Unding, also ließ der 27-jährige Industriedesigner die Haare einfach sprießen. „Heute stutze ich ihn etwa alle drei Wochen ein bisschen.“ Natürlich, dass der Bart wieder im Kommen sei, sei ihm als modisch interessiertem Menschen schon aufgefallen – einige Designer setzen verstärkt auf bärtige Models, die sie dann als Kontrast in feinen Zwirn stecken. Oder aber der Bart ist nur Element einer Reminiszenz an das idealisierte einfache, ländliche Leben.

Dieser Trend entstand bereits vor einigen Jahren im New Yorker Stadtteil Brooklyn – im Zuge eines Folk-Revivals legte sich eine hoch urbanisierte Szene plötzlich mit karierten Hemden, Jeans und voller Gesichtsbehaarung äußerlich ein Landei-Image zu. Mit Verspätung schwappte der Vollbart auch bis nach Österreich über – oft mit dem karierten Holzfällerhemd im Schlepptau. Und kam vor allem im urbanen und hochgebildeten Milieu an. Als Kontrapunkt zum artifiziellen haarlosen Ideal, wie es etwa in provinziellen Großraumdiscos zelebriert wird – wo selbst Augenbrauen auf der solariumgebräunten Haut als Fremdkörper gelten.


Reaktion auf Feminisierung.
Wobei Körperbehaarung bei Männern in den vergangenen Jahren quer durch alle Schichten ein zunehmend negatives Image hatte, wie Jugendforscher Philipp Ikrath meint. Und das Männerbild – Stichwort Metrosexualität – immer stärker feminisiert wurde. „Der Bart“, glaubt auch Sebastian Rahs, „ist sicher auch eine Reaktion darauf.“ Und dient als deutlich sichtbare Abgrenzung zum Körperkult, der täglich zwei Stunden vor dem Spiegel erfordert. Auch wenn diese Abgrenzung allzu oft ein Täuschungsmanöver ist – denn hinter einem dichten Bart muss sich schließlich nicht ein stinkender, ungepflegter Körper verbergen. Im Gegenteil, der Bart erfüllt einfach nur die Funktion als organisches Modeaccessoire.

Immerhin, ein Accessoire, das in seiner Vollversion mit einem gewissen Ernst getragen werden darf. Ganz im Gegensatz zum Oberlippenbart, der im jungen, urbanen Umfeld zwar immer wieder Revivals durchlebt, dabei aber immer mit einer ironischen Note versehen ist. Denn dem Schnauzer haftet nach wie vor das Stigma an, dass er als visuelles Merkmal unterer Gesellschaftsschichten gilt.

Der Bart als Identifikationsmerkmal bestimmter Gruppen hat indes eine lange Tradition. Schließlich war er schon im alten Ägypten ein heiliges Symbol für die herrschende Klasse, weil er Göttlichkeit symbolisierte – nicht umsonst legten Pharaonen künstliche Bärte für Zeremonien an. Im alten Rom prägten die Vorlieben der Machthaber die Bartmode des Volkes, für die griechischen Philosophen, die Urväter des ehrwürdigen Altherrenbartes, war der Bart nicht nur Schmuck, sondern auch Ausdruck ihrer erhabenen inneren Gedankenwelt.

Im vorigen Jahrhundert wies zunächst der neu erfundene Rasierapparat die Borsten in Schranken. Doch immer wieder gelang es ihnen, als Ausdruck von Modeströmungen zumindest Teile des Gesichts wieder zurückzuerobern. Als kleines Fleckchen unter der Lippe, als Ziegenbart am Kinn oder als „Klobrillenbart“ – dem kleinen Bruder des Vollbarts, der um den Mund verläuft, während die Backen frei bleiben. Und selbst der Vollbart durfte im 20.Jahrhundert noch ein großes Comeback feiern – als zotteliges Erkennungszeichen der Hippie-Ära der späten 1960er-Jahre, der über die 70er-Jahre immer kürzer und gepflegter wurde, ehe er in den frühen 1980ern wieder komplett verschwand.

Das Revival des Vollbarts lässt sich letztlich auch aus der Geschichte erklären. Ein männliches Gesicht bietet schließlich nur eine begrenzte Anzahl an Varianten für Behaarung an. Und all die Bartmoden vergangener Zeiten kommen in zyklischer Regelmäßigkeit immer wieder zum Vorschein. Der große Vorteil dabei: Der Zyklus kann mit einem scharfen Rasiermesser jederzeit einfach wieder beendet werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2012)

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