Allein glücklich: Die Offensive der Singles

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Dem Leben ohne Partner haftete lange Zeit ein Makel an. Doch zunehmend entwickeln Singles ein positives Selbstbild: Freiheit schlägt Geborgenheit, Individualität siegt über Gemeinsamkeit.

Nicholas Bettschart hat alles, was er braucht. Viele Freunde, eine eigene Wohnung, einen Job in einer PR-Agentur, ein Faible für Kunst und Literatur und zwischendurch auch einmal Zeit, um auf Reisen zu gehen. Nur eine Beziehung hat der 25-Jährige nicht. Braucht er aber auch nicht. „Das ist nicht mein Ideal.“ Es lässt sich auch so gut leben, schließlich hat man ohne Partner mehr Zeit, mehr Freiheiten und generell mehr Optionen. Nicholas Bettschart ist Single. Und auch überzeugt davon. „Man muss sich nicht in eine Beziehung zwängen, nur weil die Gesellschaft das erwartet“, meint er. Bei einigen Freunden bemerke er, dass es nicht passt – und die Partnerschaft dennoch aufrechterhalten wird. Er jedenfalls will da nicht mitmachen.

Nicholas Bettschart steht stellvertretend für eine immer größer werdende Zahl von Menschen, die Beziehung und Partnerschaft nicht mehr als gesellschaftlich erstrebenswerte Normalität betrachten. Und die das Lebensmodell als Single nicht als ein Defizit verstehen – im Gegenteil. Ohne fixe Partnerschaft zu leben wird zunehmend als attraktiv wahrgenommen.


Going solo. Die Erkenntnis, wie weit verbreitet diese Einstellung mittlerweile ist, sorgt zurzeit für einige Aufregung. Mit hervorgerufen hat sie Eric Klinenberg, Soziologe an der New York University und Bewohner der „Single“-Hochburg der Welt: Manhattan. Klinenberg und sein Team interviewten in den letzten sieben Jahren mehr als 300 allein lebende Menschen und stellten fest, dass die Idee von „Singles“ als frustrierten, vereinsamten Menschen mit ausgeprägtem Neidkomplex vis-á-vis glücklich Gepaarten ein Ding der Vergangenheit sei. Immer mehr Menschen zögen die Alleinherrschaft über ihre eigenen vier Wände allen Alternativen vor – so Klinenbergs Fazit, das er in seinem (bisher nur auf Englisch erschienenen) Buch „Going Solo“ präsentiert.

Die Zahlen sind tatsächlich verblüffend. 1950 lebten in den USA vier Millionen Menschen allein. Heute sind es 31 Millionen. In Manhattan wird einer von zwei Haushalten von nur einer Person bewohnt, in den „Single-Grätzeln“ New Yorks kann dieser Anteil bis zu 70 Prozent betragen. Weltweit, so die Schätzung, leben 277 Millionen Personen allein – mehr als je zuvor in der Geschichte. Die Entwicklung in Österreich hat mit dem weltweiten Trend durchaus Schritt gehalten: Rund 1,3 Millionen Menschen leben in Ein-Personen-Haushalten, rund 744.000 davon sind Frauen.

Alle diese Zahlen sind allerdings mit etwas Vorsicht zu genießen. Schließlich können alleinstehende Menschen ja auch noch bei den Eltern wohnen, in Wohngemeinschaften oder auch in Pflegeanstalten und Heimen – und gerade verwitwete ältere Menschen passen nicht unbedingt in die Singlekategorie.

Allerdings leben etwa alleinerziehende Mütter oder Väter mit Kind nicht allein – und passen im Hinblick auf einen fehlenden Partner unter Umständen trotzdem ins Singleschema. Umgekehrt muss nicht jeder Mensch, der allein lebt, ein Single sein – das Lebensmodell der LATs (Living apart together) steht etwa für Partner, die trotz ihrer Beziehung weiter ihre getrennten Wohnungen behalten. Idealtypisch definiert man den Begriff Single jedenfalls als eine Person, die ohne eine feste Bindung an einen Partner lebt, stark auf Beruf und Freizeitkonsum ausgerichtet ist – und womöglich auch noch Ehe und Elternschaft ablehnt.

Strukturelle Singles. Wie auch immer das Spiel mit den Zahlen ausgeht, die strukturellen Bedingungen für die explosionsartige Zunahme allein lebender Menschen liegen relativ klar auf der Hand. Klinenberg nennt vor allem drei (siehe Interview rechts): den gestiegenen Wohlstand, den sozialen Aufstieg und die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Frauen sowie die Kommunikationsrevolution. Etwas schwammiger, wenn auch interessanter, sind die emotionalen Gründe. Roman Braun, der als „Master-Coach“ unter anderem Mediatoren und Supervisoren ausbildet und sich mit dem Thema Singles gerade intensiv im Rahmen der Recherche zu einem Buch beschäftigt, macht die zunehmende Individualisierung der Gesellschaft dafür verantwortlich.

„Es wird in westlichen Kulturen immer schwieriger, Beziehungen erfüllend zu leben. Nach ein, zwei oder mehr Versuchen, in denen man durch ,Trial and Horror‘ lernt, kommen viele dann zu dem Schluss, dass sich der damit verbundene Aufwand für sie nicht mehr auszahlt“, sagt Braun. Scheidungsraten von 66 Prozent allein in Wien sprächen da eine klare Sprache. Genauso klar wie die Absage vieler Menschen an „Verzweiflungsgemeinschaften“: „Wir sind nicht egoistischer geworden“, sagt Braun. „Aber kompromissloser.“

„Kompromiss“ ist auch ein Wort, das Anna sehr oft in den Mund nimmt. Meistens gefolgt von einem „Nein, danke“: „In meiner Umgebung gibt es ziemlich viele Kompromiss-Beziehungen, das ist das Schlimmste“, sagt sie. „So etwas hatte ich auch, und so etwas möchte ich nie wieder.“ Anna ist keine romantisch-verträumte 25-Jährige, sondern realistische 36 Jahre alt. 17 davon verbrachte sie in Beziehungen, seit ein paar Monaten ist sie solo – und findet das „super“: „Zum ersten Mal seit Langem kann ich tun und lassen, was ich will. Ohne mich um die Befindlichkeiten eines anderen kümmern zu müssen und mich zu sorgen, ob das gemeinsame Programm eh in alle Zeitpläne hineinpasst.“

Diese Kompromiss-Verweigerung wurde offenbar zum Markenzeichen einer Generation, die im Glauben an die Unantastbarkeit ihrer eigenen Individualität und ihrer Bedürfnisse erzogen und sozialisiert wurde. Das äußert sich nicht nur in solchen Kleinigkeiten wie den ganzen Tag unbehelligt im Pyjama in der Wohnung herumzuspazieren. Da geht es mittlerweile um Fundamentaleres, wie um die uneingeschränkte Kontrolle über die eigene Zeit und die Lebensentwürfe. Denn diese sind nicht mehr fix, sondern veränderlicher denn je. Die globalisierte (Arbeits-)Welt verlangt von ihren Besten und Erfolgreichsten ein Maximum an Flexibilität und Zuwendung. Wirklich reibungslos lässt sich so ein Leben nur bewerkstelligen, wenn kein Nebenbuhler mit konkurrierenden Ansprüchen daheim wartet.

Ob Anna es für immer bei ihrem Singledasein belassen will, kann sie allerdings selbst nicht sagen. Einsam fühlt sie sich zwar nicht – auch deshalb, weil ihre täglichen sozialen Bedürfnisse von der WG, in der sie lebt, aufgefangen werden –, aber für immer auf die Nähe eines Partners verzichten will sie auch nicht. Auch Klinenberg betont, dass dieser Zustand bei den wenigsten Menschen für die Ewigkeit konzipiert ist. Die vergleichsweise kleine Gruppe an Hardcore–Singles, die einer Partnerschaft grundsätzlich eine Absage erteilen, wurde daher auch umgehend mit einem ins Lächerliche gehenden Etikett beklebt: „Quirkyalones“ (schrullige Einzelgänger). Bei allem Bekenntnis zur Individualität und zum Wunsch nach dem Ausleben eines persönlichen Autonomie-Bedürfnisses findet sich bei vielen, die allein leben, der Wunsch nach Geborgenheit. „Das ist in uns Menschen verankert“, meint Nicholas Bettschart. Und so kommen gelegentlich schon Momente, in denen er denkt, dass es jetzt schön wäre, jemanden an seiner Seite zu haben.


Single-Industrie. Für Bettschart gehen solche Momente schnell vorüber, wie er meint. Und am Ende siegt dann doch die Freiheit über die Geborgenheit. Laut einer Ifes-Studie im Dezember 2010 ist gerade der Wunsch nach Unabhängigkeit auch die stärkste Triebfeder – 36 Prozent von 1000 befragten Singles gaben das als Grund für ihr Singledasein an.

Doch für viele Singles ist die Freiheit eine unfreiwillige – und sie arbeiten vehement daran, wieder zu zweit zu sein. Aus diesem Wunsch und aus der großen Zahl unzufriedener Singles hat sich mittlerweile eine ganze Industrie entwickelt – im Internet kämpfen unzählige Partnerbörsen darum, Kontakte anzubahnen und Singles zusammenzuführen. Sei es für eine lange Beziehung, sei es auch nur für kurzfristige Bekanntschaften und Abenteuer abseits von Romantik und Partnerschaft.

Auch Nicholas Bettschart ist Mitglied bei einem dieser Dating-Portale. Und offen für alle Optionen, die sich dadurch ergeben können – im Extremfall sogar für eine längerfristige Beziehung. Denn wie gesagt, das Bekenntnis zum Singleleben muss nicht ewig gelten. Und so wie es das geflügelte Wort des Lebensabschnittsgefährten gibt, kann man das Singledasein ja auch als eine Lebensabschnittsform verstehen, die man so lange pflegt, wie es passt. Fix ist jedenfalls, dass das Alleinleben den Geruch des Zweitbesten abgestreift hat und für viele Menschen zur besten Lebensform geworden ist – zumindest bis zum nächsten Partner.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.04.2012)

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