To Bim or not to Bim

c Clemens Fabry
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Die Zeitdehnung als Phänomen für Öffi-Benutzer.

Wie pünktlich man zu einem Termin erscheint, liegt meist nicht in der Macht des Einzelnen. Nur Fußgänger, Rollerblader und Radfahrer können die Zeit, die man von zu Hause bis ins Büro braucht, gut vorhersehen. Denn störende „Im-Weg-Herumsteher“ auf Gehsteigen kosten nur ein paar Sekunden. Dass Autofahrer immer noch denken, sie hätten es total in der Hand, wann sie wo ankommen, entlockt mir nur mitleidiges Lächeln (ich spreche für das Stadtgebiet): Stau und Parkplatzsuche kosten fast Stunden – von den Nerven, die das kostet, gar nicht erst zu reden!

Die Nerven der Benutzer öffentlicher Verkehrsmittel werden auch oft strapaziert. Nicht nur wegen Verzögerungen und U-Bahn-Ausfällen. Mir kommt vor, dass die Existenz von Zeitanzeigen die Nervosität der Öffi-Kunden erhöht. Früher stand man einfach am Bahnsteig oder der Bimstation und wartete und wartete. Sobald sich jemand einen Tschick angezündet hat, ist die Bim eh gekommen.

Heute starren alle auf die Minutenanzeige und ärgern sich sieben Minuten lang, warum da ein Siebener steht. Durch das Ärgern dehnt sich die Zeit: Es kommt uns vor wie zehn Minuten. Als „Zeitdehnung“ kennt man übrigens auch Phänomene aus Einsteins Relativitätstheorie und der Erzählkunst von Film, Buch und Hörspiel – aber das würde zu weit führen! Die Zeitdehnung an U-Bahn- und Bimstationen, die auch durch ständiges Uhrenvergleichen mit der Anzeige entsteht, sollten wir besser als „geschenkte Zeit“ ansehen, in der man ungestört Nasen bohren, Zeitung lesen und ins Narrenkastel schauen darf. Dem, der auf uns wartet, schicken wir gelassen ein SMS: „Ob ich um 15 Uhr da bin, ist nur eine Frage von ,To Bim or not to Bim‘!“ Und dann freuen wir uns, dass wir hier viel mehr Zeit geschenkt bekommen, als wenn man alle Hundertstelsekunden, die unsere Skifahrer jetzt wieder bei Rennen auf der Strecke liegen lassen, aufsammeln könnte.

E-Mails an: veronika.schmidt@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2012)

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