Störe ich gerade ungelegen?

Stoere gerade ungelegen
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Eigentlich gehe ich ja einem anständigen Beruf nach.

Eigentlich gehe ich ja einem anständigen Beruf nach, nur leider habe ich ihn noch nicht eingeholt. Was mich im beruflichen Wettrennen mit mir selbst immer wieder in die unangenehme Situation bringt, andere Menschen konsultieren zu müssen – Recherche ist so eine journalistische Berufskrankheit, Sie verstehen. Und hat man gerade die Nummer eines Informanten gewählt, gebietet es die Höflichkeit, nicht einfach draufloszusprechen, sondern erst zu erkunden, ob der Gesprächspartner überhaupt die Zeit (oder die Bereitschaft) hat, seine Expertise zu teilen. Es braucht also eine Einstiegsfloskel, um den guten Willen vorzutäuschen, dass nicht nur das eigene Zeitmanagement – nahender Redaktionsschluss, zum Beispiel – im Mittelpunkt des Denkens steht. „Guten Tag, störe ich gerade ungelegen?“ Sätze wie dieser sorgen mit ihrer bestimmenden Unbedarftheit meist auf Anhieb dafür, dass sich die Person am anderen Ende der Telefonleitung Zeit nimmt. Wobei Telefonleitung in Zeiten des Mobilfunks eigentlich der falsche Begriff ist – genauso gut könnte man im Elektrogeschäft nach einem WLAN-Kabel fragen. Aber das nur nebenbei.

Findige Gesprächspartner, die in Wirklichkeit keine Information preisgeben wollen, haben aber mittlerweile einen Gegenspruch entwickelt, mit dem der Journalist abgefüttert wird. „Das wird man sich genau anschauen müssen“ ist eine dieser Nullphrasen, ebenso wie „Wir werden das in den Gremien beraten“ – gelegentlich garniert mit „und zu einem guten Ergebnis kommen“. Was übersetzt so viel bedeutet wie: „Ihr Anruf ist umsonst, da werden Sie wohl keinen Artikel machen können.“ Aber diese Abfuhr wird zumindest in höflich verbindlichem Ton vorgetragen. Man will die Medienmenschen ja nicht vergrämen. „Entschuldigung, ich hätte gern noch eine Frage“, stammelt man dann. Doch da wurde man bereits aufwiedergesehen und mit dem nahenden Redaktionsschluss allein gelassen. Na gut, wenigstens hat man wieder Zeit, einem anständigen Beruf nachzugehen. Also los, gehen wir!

E-Mails an: erich.kocina@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.04.2013)

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