Der Idiot, „die Einzelperson im Gegensatz zum Staat“

Idioten
Idioten(c) REUTERS (JOHN KOLESIDIS)
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Eine „Krise“ ist ein Wende- oder Scheidepunkt und Altgriechisch lebt doch.

Eine der Entscheidungen in meinem Leben, die ich heute bitter bereue, ist jene gegen Altgriechisch in der Unterstufe meines Wiener Gymnasiums. Gewiss: Wir mussten damals zwischen dem quicklebendigen Französisch und dieser vermeintlich toten Sprache wählen, und schon damals saß uns das Dogma von der Berufsnützlichkeit unseres Lernens im Nacken.

Im Herbst 2009, ich war als EU-Korrespondent in Brüssel gelandet, holte mich diese Entscheidung ein. Griechenland hatte mit den Haushaltszahlen geschummelt, bald wurde aus einem eher kleinen Athener Defizit ein eher nicht so kleines und dann eine europäische Krise. Die Griechen gingen zornig auf die Straßen ihres schönen Landes, und gern hätte ich die Transparente entziffert, welche sie dabei mit sich trugen.

Aber überhaupt: die Krise! Meine Klassenkollegen aus dem Altgriechisch-Zweig wussten wohl, dass dieses Wort seine Wurzel im Verb „krinein“ hat, das „scheiden“ oder „trennen“ heißt (gern schriebe ich dies in griechischen Lettern, doch wie gesagt: Das beherrsche ich nicht). Eine „Krise“ ist also ein Wende- oder Scheidepunkt. Doch wo wendete sich in der „Eurokrise“, von der auch ich so oft schrieb, etwas? Wo schieden sich die guten von den schlechten Lösungsvorschlägen?

Und so versuche ich, das nie Gelernte nachzuholen. Als ich zum Beispiel dieser Tage las, der gescheiterte Kandidat für New Yorks Bürgermeisteramt, Anthony Weiner, meinte, er sei kein Idiot, musste ich ihm widersprechen: Der Kluge, das etymologische Wörterbuch meiner Wahl, führt den „Idioten“ auf das altgriechische „idiotes“ zurück. Und das sei im Grunde genommen „die Einzelperson im Gegensatz zum Staat“. Sinngemäß war der „Idiot“ also ursprünglich ein Mann, der nicht an den Staatsgeschäften teilnimmt. Das trifft auf Herrn Weiner, der mit 4,8 Prozent aus der innerparteilichen Vorausscheidung der Demokraten gesegelt ist, zweifelsohne zu.

Und die Bedeutungsverschiebung im Neuenglischen, die den „idiot“ im 18. Jahrhundert zum „Schwachsinnigen“ gemacht hat, braucht ihn wirklich nicht zu kratzen.

E-Mails an:oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.09.2013)

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