Bildung, die sich selbst erschafft

(c) Knowmads
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Das Bildungsprojekt Knowmads überlässt es den Teilnehmern selbst, wie sie ihre einjährige Ausbildung gestalten. Und stellt mehr Fragen, als es Antworten gibt.

Knowmads. Diese Wortschöpfung hat es in sich: In ihr verschmelzen „to know“ (wissen) mit „nomads“ (Nomaden) und „mad“ – verrückt. Diese Mischung trifft ziemlich gut, worum es bei diesem Projekt, das ursprünglich aus Amsterdam stammt und jetzt die Fühler weiter ausstreckt, geht: um eine neue Art, Bildung zu denken.

Knowmads möchte eine Alternative zum herkömmlichen Bildungssystem sein, und das Programm, das eigentlich keines ist, erinnert ein bisschen an die Montessori-Pädagogik: keine Vorgaben, dafür viel Selbstverwirklichung und persönliche Freiheit. Die einjährige Ausbildung kommt ohne Lehrer, Noten und Zertifikate aus.
Nicht weltfremd. Das klingt erst einmal nach realitätsfremdem Paralleluniversum mit leicht pubertärem Einschlag. Hellhörig wird man allerdings, wenn man erfährt, dass etwa eine Knowmads-Absolventin heute bei der Volkswagen-Tochter Autovision im Innovationsteam arbeitet. Oder wenn man weiß, dass die Fluglinie KLM mit einer der Ideen aus der Knowmads-Werkstatt ihrer brachliegenden Businessclass wieder Leben eingehaucht hat.

„Die Idee, die die erste Gruppe von Knowmads für KLM entwickelt hat, nennt sich Social Seating“, erklärt Ivo Degen, selbst frisch gebackener Knowmads-Absolvent. „KLM hatte das Problem, dass niemand mehr bereit war, mehr für die Businessclass zu bezahlen. Die Frage an Knowmads war also: ,Wie bekommen wir die Businessclass wieder voll?‘ Social Seating beruht auf der Annahme, dass Menschen, die zum Beispiel einen langen Transatlantikflug gebucht haben, gern neben jemandem sitzen würden, der sie interessiert. Mit dem Businessclass-Ticket gibt und bekommt man Einsicht in die sozialen Netzwerke der Fluggäste, die diese Option gewählt haben, und kann sich einen Sitzplatz neben einer interessanten Person aussuchen.“ Meet&seat nennt sich dieser Service von KLM, der es schon im „Forbes“-Magazin unter die besten Businessideen des Jahres geschafft hat.

Das Zentrum von Knowmads ist in Amsterdam, doch derzeit werden fleißig Expansionspläne geschmiedet. Ivo Degen möchte in Sevilla eine Zweigstelle gründen. Im August soll es losgehen. Warum Sevilla? „Da es eine wunderschöne Stadt ist, und da sie in Andalusien liegt, in einem der Teile von Spanien, die von der Krise im Herzen getroffen wurden“, sagt der 22-jährige Österreicher, der in Deutschland aufgewachsen ist und nach der Matura erst einmal eine Zeit in Südamerika und Südspanien verbracht hat, bevor es ihn zu Knowmads nach Amsterdam verschlagen hat. „Es ist einfach das schönste Bildungsprojekt, das momentan existiert. Es macht etwas mit Menschen, das wirklich beeindruckend ist.“


Krise als Chance. In Spanien, vor allem südlich von Madrid, gibt es hauptsächlich Landwirtschaft. „Dabei gibt es in Sevilla unheimlich viele Ressourcen, es gibt Bildung, es gibt Tourismus. Da kann man etwas daraus machen.“

Spanien sei deshalb in Schwierigkeiten und die Jugendarbeitslosigkeit so hoch, weil die Leute unkreativ und nicht anpassungsfähig seien. Das sei aber nicht ausschließlich ein spanisches Problem: „Das ganze System bereitet uns darauf vor, unser Leben lang eine bestimmte Sache zu machen. Wir sind auf Veränderungen nicht vorbereitet. Deshalb ist die Krise auch eine Chance, die Dinge neu und anders zu denken und das, was ist und was nicht funktioniert hat, hinter sich zu lassen“, findet Degen. Ob Knowmads in Spanien ähnlich gut aufgenommen wird wie in den Niederlanden, wird sich zeigen. Immerhin kostet die einjährige Ausbildung 5500 Euro. Teil der Ausbildung sind aber immer wieder praktische Aufgaben, die von den Partnerunternehmen gestellt werden. So haben die Teilnehmer die Möglichkeit, einen Teil der Kurskosten wieder zurück zu verdienen. Welche Workshops die Teilnehmer brauchen und besuchen, entscheiden sie selbst.

Die Expertise kommt dann entweder von den anderen Kursteilnehmern oder es werden externe Partner herangezogen. So profane Dinge wie BWL-Kurse wurden noch nie angefragt, sagt Degen. Aber dafür habe er zum Beispiel gelernt, wie man einem Unternehmen eine Idee präsentiert.

Im Laufe der Ausbildung entscheiden sich viele für soziales Unternehmertum, manche schlagen aber auch ganz andere Wege ein: „Eine Absolventin gibt jetzt in Deutschland Konzerte“, sagt Degen. Er freut sich darauf, den jungen Spaniern zu helfen, herauszufinden, wie sie das tun können, was sie gern tun wollen. Trotz – oder eben gerade wegen – der Krise.

Fragen statt Antworten

Balance zwischen Chaos und Ordnung. Die Knowmads-Ausbildung ändert sich ständig, je nachdem, wer gerade daran teilnimmt. www.knowmads.es

Vier Fragen. Jeder Teilnehmer muss sich diese Fragen stellen: – Wer bin ich, und in welcher Welt möchte ich leben?
– Was will ich beitragen/verändern?
–Wie kreiere ich die Organisation, um das umzusetzen?
–Wie bringe ich meine Ideen in die Welt?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.01.2014)

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