Samba und Spiegelsocke

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Drüben in Brasilien, da ist jetzt Weltmeisterschaft. Wer das in Berlin ignorieren wollte, müsste sich vier Wochen lang mit Ohrstöpseln in einem abgedunkelten Zimmer einsperren.

Wer hingegen sein gewohntes Leben weiterführt, liefert sich der prekären Gemütslage der fußballfiebrigen Deutschen aus. Der Auftaktsieg über Portugal (gegen zehn Mann, nach einem raschen Elfer) setzte sogleich den kollektiven Größenwahn frei, man hätte den Titel schon in der Tasche. Dem Unentschieden gegen Ghana folgten prompt abgrundtiefe Selbstzweifel. Auch mir täte ein baldiges Ausscheiden leid. Dann gäbe es keine euphorischen Afterpartys, die regelhörige Deutsche für einige Stunden in anarchisch entfesselte Südländer verwandeln. Die lautstärkste Manifestation dieser Metamorphose ist der Autokorso. Jeder Kreisverkehr wird zur Endlosschleife, jede Chaussee zur Stauzone. Eigentlich ist „unnützes Hin- und Herfahren“ ordnungswidrig, „wenn andere dadurch belästigt werden“. Aber keine Sorge: Den Polizisten fehlt jede Fantasie dafür, dass großzügiges Teilhabenlassen am eigenen Glücksrausch irgendjemanden belästigen könnte.

Lenker hupen, Mitfahrer grölen und schwenken selig grinsend Papierfähnchen und Textilflaggen. Passanten antworten mit der ultimativen Dreiton-Sambapfeife. Auch ästhetisch eröffnet das Spektakel dem deutschen Volke neue Dimensionen. Johlende Blondinen recken ihre Bunny-Öhrchen (schwarz-rot-gold) aus dem Schiebedach. Haare und Hawaiiketten (schwarz-rot-gold) flattern im Fahrtwind. Damit den Außenspiegeln nicht kalt wird, umwickeln Patrioten sie mit schwarz-rot-goldenen Spiegelsocken. Zur Zierde der Motorhauben dienen elegante Haifischflossen in den Nationalfarben.

Weibliche Fans, die es wirklich wissen wollen, werfen sich die Kontaktlinsen „Motiv Deutschland“ in die Augen. Damit ihre vom Sportgeschehen abgelenkten Begleiter das zu würdigen wissen, haben sie ihnen das Duschdas-Duschgel „Fußballfieber“ geschenkt. Es enthält zwar keinen Kickerschweiß, aber es „schärft die Sinne aller Männer“. Sollte es nach sechs Bier immer noch wirken: Es gibt auch Kondome in Schwarz-Rot-Gold.

E-Mails an: karl.gaulhofer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.06.2014)

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