Echt freundlich ist echt selten geworden

Echt freundlich ist echt selten geworden
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Weil die anderen meist nicht freundlich sind.

Freundlichkeit ist total unterbewertet. Damit ist nicht die verbindliche Nettigkeit gemeint, mit der man dem anderen einen schönen Abend wünscht oder ein schönes Leben. Sondern die Art von Freundlichkeit, mit der man jemandem, den man zufällig getroffen hat, sagt, wie sehr einen das freut. Oder die Freundlichkeit, mit der einem jemand am anderen Ende der Telefonleitung, den man nie kennenlernen wird, gerade in einer Sache weitergeholfen hat.

Echt freundlich ist es, wenn einen der Schaffner ohne Ticket im Zug antrifft, aber die Erklärung glaubt, dass man gerade total durch den Wind ist und das Ticket im Automaten stecken gelassen hat. Er sagt nicht: „Da könnte ja jeder kommen." Sondern: „Hoffentlich geht es Ihnen bald besser." Hoffentlich hat er auch Vorgesetzte, die das so sehen.

Es ist freundlich, wenn die Verkäuferin Tipps gibt, wo man etwas bekommt, was ihr eigenes Geschäft nicht führt. Und wenn sie dazu rät, das Kleid zurückzulegen und erst einen Tag später zu bezahlen, wenn der Ausverkauf beginnt. Wenn einem an der Kassa zwanzig Cent fehlen und ein Kunde in der Schlange mit einem freundlichen Lächeln aushilft, dann kann das einen schlechten Tag weniger grau machen.

Echte Freundlichkeit ist selten. Weil die anderen meist nicht freundlich sind und man sich ausgenützt vorkommt, wenn nur gelegentlich etwas zurückkommt. Weil freundlich mit bieder verwechselt wird. Weil die Grenze zum Kompliment recht fließend ist und ein Kompliment zu etwas geworden ist, was (von Frauen) auch empört zurückgewiesen werden kann. Weil man sich also nichts vergeben will.

Der, der gibt, hat oft das Gefühl, dass ihm etwas genommen wird, wenn er zu viel gibt. Nicht zu Unrecht. Schroffheit hat noch niemandem geschadet. Es ist leider unverdächtiger, nicht freundlich zu sein.


E-Mails an: friederike.leibl-buerger@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.07.2014)

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