So geht Berliner Schnauze

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Früher galt es generell: In Berlin ist der Kunde nicht König, sondern ein armes Schwein. Auch ich kann davon ein Klagelied singen.

Eine typische Strophe: Der sehr entspannte, sehr tätowierte Barmann ignoriert konsequent mein sehnsüchtiges Bestellbegehren. Er hat ja auch weiß Gott Wichtigeres zu tun: mit Stammkunden quatschen, echte Hipster bedienen oder einfach in aller Ruhe Gläser spülen. Nach zehn Minuten frage ich mich ernsthaft, ob ich unsichtbar bin. Zur Probe winke ich meinem Getränkedealer unübersehbar zu – und hol mir unverzüglich die verdiente Abfuhr: „Hey, hab dich mal nicht so! Kann auch nicht zaubern.“ Doch diese lokaltypisch ruppige Art verliert an Terrain, weil Zugezogene sie durch ortsfremde Freundlichkeit unterwandern.

Echte Berliner fühlen sich als Helden auf dem Rückzug. Sie rühmen ihre Frechheit als Tugend: als total direkt, ehrlich und authentisch. Anfangs hat es meinem Lebenselan noch eine Schubumkehr versetzt, von ihnen angepflaumt zu werden. Doch langsam komme ich ihrer Schnauze auf die Schliche. Sie spielen nämlich ein Spiel. Seine einzige Regel: Was dir auch widerfährt, du darfst auf keinen Fall folgende Ausdrücke verwenden: Entschuldigung. Tut mir leid. Sie haben recht. Danke. Das klingt leichter, als es ist, aber die Berliner schaffen das!

Neulich etwa, bei der Operation Handyreparatur: Auf der Webseite steht, der Laden mache um neun auf. Tatsächlich öffnet er erst um zehn. Ich hetze ein zweites Mal hin und weise den Verkäufer mit einem freundlichen „Übrigens“ auf den Missstand hin. Anfängern würde da zumindest ein „Das tut mir aber leid“ oder „Danke für den Hinweis“ rausrutschen. Nicht so mein Berliner: „Det steht nich auf unserer Homepage. Das haste woanders gesehen“, vorgetragen mit dem unüberhörbaren Unterton: Selber schuld, du Missgeburt. Beim Abholen schalte ich auf ein höheres Spiellevel und zeige meinem Berliner einen Ausdruck. „Det hab ja nich icke geschrieben“, lautet die souveräne Reaktion. Zu Hause angekommen, schreibe dann ich: eine Online-Kritik über den Laden auf Quipe, um meinem Ärger Luft zu machen. Typisch Journalist. Typisch uncooler, hinterfotziger Ösi. Ich gestehe: Ich fühl mich total authentisch dabei.

E-Mails an: karl.gaulhofer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.08.2014)

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