Wie die Wiener Kinder ins dänische Glück kamen

1961 errichtet: Sigurd-Jacobsen-Denkmal, Wien Margareten.
1961 errichtet: Sigurd-Jacobsen-Denkmal, Wien Margareten.Wolfgang Freitag
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Wer Sigurd Jacobsen sucht, ist gut beraten, auf blattlose Jahreszeiten zu warten. Aber wer sucht schon Sigurd Jacobsen?

Wer Sigurd Jacobsen sucht, ist gut beraten, auf blattlose Jahreszeiten zu warten. Aber wer sucht schon Sigurd Jacobsen? Als ich mich vor wenigen Wochen auf die Spuren des Dänen, genauer seines Denkmals setzte, für meine Sommerserie zu Wiener Gedenkstätten, brauchte ich etliche Runden durch den Margaretner Theodor-Körner-Hof, ehe ich den Marmorsockel mit dem Bronzekopf darauf fand: wild umrankt von Buschwerk, in dessen Schatten sich der „dänische Wohltäter der Wiener Kinder in den Jahren 1918–1938“ (so die Sockelinschrift) tief zurückgezogen zu haben schien.

Näheres über Jacobsen zu erfahren ist nicht leicht. Selbst die dänische Wikipedia-Ausgabe hält nur ein paar magere Zeilen über den Rechtsanwalt, Jahrgang 1882, bereit. Sehr viel mehr Licht ins Jacobsensche Dunkel bringt die Website der Österreichisch-Dänischen Gesellschaft (www.oesterreichdaenemark.org): Ein Bruder Jacobsens habe 1918/19 als Arzt am Allgemeinen Krankenhaus zu Wien gearbeitet und in seiner Verzweiflung über den Gesundheitszustand der Kinder, die er zu behandeln hatte, den Bruder in Dänemark um Hilfe gebeten.

Der wiederum mobilisierte dänische Familien, fand Sponsoren – und am 16. September 1919 konnte ein erster Transport den Franz-Josephs-Bahnhof Richtung Dänemark verlassen, gefüllt mit 500 ausgemergelten Gestalten: Die Aktion „Wiener Kinder“ war gestartet, der nach dem Ersten Weltkrieg 25.000, nach dem Zweiten Weltkrieg noch einmal 14.000 Kinder ein paar Monate Erholung in Frieden und dänischem Wohlstand verdankten.

Der Bildhauer Paul Peschke, der den Jacobsen-Kopf Anfang der 1960er schuf, soll selbst ein „Wiener Kind“ gewesen sein. Und übrigens: Auch die Dänenstraße in Wien Währing und der Kopenhagen-Hof, Wien Döbling, sind in Erinnerung an jene Großtat benannt, die der Initiative eines Einzelnen zu danken ist. Eines Einzelnen, der sonst zeit seines Lebens nicht weiter auffällig gewesen zu sein scheint. Einer von uns sozusagen. Andererseits: Wer von uns ist schon ein Sigurd Jacobsen?

E-Mails an: wolfgang.freitag@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.08.2014)

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