We are all Berliners

Berlin in der blauen Stunde
Berlin in der blauen Stunde(c) APA/dpa
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Bei mir ums Eck in Prenzlauer Berg gibt es einen Coffeeshop. Man kann es nicht anders sagen, denn dort reden sie ausschließlich Englisch.

Die von Easyjet eingeflogene Partymeute stürmt den Laden, und auch bei den notorisch weltoffenen Berliner Hipstern ist er schwer angesagt. Wer dort auf Deutsch bestellt, erntet entgeisterte Blicke. Ganz ehrlich: Ich finde das ein wenig affig. Aber es ist nur konsequent. Alle Welt zieht nach Berlin. Und wie soll sich die brasilianische Musikerin mit dem norwegischen Programmierer austauschen, wenn nicht in der Lingua franca? Herrlich, wie wir alle zusammenfinden! Herrlich – und nervig. Denn mein eigenes Idiom ist immer noch das einzige, in dem ich nie um Begriffe ringe, mit dem ich Tiefsinniges zu Gehör bringe und in Wortspielen meinen Witz beweise.

Vorbei. Zu jeder Runde gesellt sich zumindest eine fremde Zunge. Und das genügt, dass alle Englisch reden, also: Banalitäten plappern. Denn so toll können sie es ja alle nicht. Außer natürlich die Angelsachsen selbst. Die halten andere Sprachen als die ihre nur mehr für skurrile Folklore. Sie reden wortgewaltig auf mich ein, bis ich in den Seilen hänge, und lächeln über holprige Repliken. Manche leben seit Jahren in Berlin, ohne auch nur ein Wort Inländisch zu lernen. Da war Kennedy noch fleißiger. Und die vielen Südeuropäer auf der Flucht vor der Eurokrise? Die gehen zwar brav in Kurse rein, aber es kommt nix dabei raus. Auch nach zahllosen Lektionen wagen sie keinen einzigen Satz auf Deutsch. Angeblich schreckt sie die teuflisch komplizierte Grammatik ab. Als ob wir ihnen einen Stromstoß versetzten, sobald sie einen Artikelfehler machen. Stattdessen palavern sie munter weiter in einem klanglich entstellten Englisch.

Bis auf Fernando. Der ist Spanier und absolvierte ein Europäisches Jahr als Gärtner in einem Kaff in Brandenburg. Das WM-Finale sah er im Schützenverein, umringt von grölenden rechten Glatzen. Aber dafür kann er jetzt sogar „Motorsäge“ und „Buchsbaumhecke“ sagen. Und an einsamen Winterabenden las er wohl Goethe. In Summe macht das: die übliche laute Hymne auf Berlin. Aber so nebenbei auch: ein leises Lob des Landlebens.

E-Mails an:karl.gaulhofer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.09.2014)

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