Denkmal in Kopie: Wenn die Hausgehilfin zweimal stirbt

Nein, ganz und gar zufällig vorbeikommen wird man nicht so ohne Weiteres am Denkmal der Margarete Manhardt, Und wenn doch, beispielsweise weil man, wie ich vor Jahren des Öfteren, sein Kind in die nahe Volksschule begleitet.

Was wüsste man schon anzufangen mit dem Steinrelief und der knappen Inschrift darunter: „Hausgehilfin Magarete Manhardt opferte ihr Leben für die Rettung zweier Kinder 1926“? Dass ein guter Teil des Texts heute von einer Hecke verdeckt ist, macht da auch nichts mehr aus.

Erhellendes halten zeitgenössische Medien bereit. Am 4. November 1926 berichtet die „Neue Freie Presse“: „Die 20-jährige Margarete Manhardt karambolierte gestern Mittag, als sie mit den Kindern ihres Dienstgebers, mit der im Kinderwagen liegenden eineinhalbjährigen Gertrude und dem dreijährigen Georg, die Ausstellungsstraße bei der Wolfgang-Schmälzl-Gasse übersetzen wollte, mit einem Bierwagen der Gemeinde Wien. Sie hatte noch die Geistesgegenwart, den Buben sowie den Kinderwagen wegzuschleudern. Das Baby kam ebenso wie der Knabe mit geringfügigen Verletzungen davon. Die Hausgehilfin selbst ist ihren Verletzungen auf dem Transport ins Krankenhaus erlegen.“

Ein Unfall von vielen, könnte man meinen, und das suggeriert auch die Platzierung der Meldung als eine von mehreren in der Rubrik „Lokalbericht“. Doch nicht die mutmaßliche Fahrlässigkeit der Margarete Manhardt, die den Bierwagen offenkundig übersehen hat, sondern ihr (vermeintlicher) Opfertod beherrscht alsbald die Nachred. Und ein Aufruf der „Illustrierten Kronen-Zeitung“ schließlich bringt so viel Spendengelder ein, dass ihr 1929 auf dem Sterneckplatz, heute Max-Winter-Platz, ein Denkmal gesetzt werden kann. Vollends zum Zeitdokument wird der Stein zehn Jahre später: Da fällt er dem Nazi-Irrsinn zum Opfer. Denn: Die geretteten Kinder entstammten einer jüdischen Familie. Was wir heute sehen, ist sohin eine Kopie, errichtet 1967. Nur Leben und Sterben bleiben stets Original.

E-Mails an:wolfgang.freitag@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.09.2014)

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