In der Warteschlange

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Meine Oma hat immer gesagt: „Ich kann alles, aber nicht warten“, und wenn es so etwas wie erbliche Vorbelastung gibt, dann habe ich die Ungeduld bei Wartereien aller Art von ihr direttissimo geerbt.

Meine Oma hat immer gesagt: „Ich kann alles, aber nicht warten“, und wenn es so etwas wie erbliche Vorbelastung gibt, dann habe ich die Ungeduld bei Wartereien aller Art von ihr direttissimo geerbt. Und das Kind als Nächstes in der Erbfolge auch gleich.

Da man stets von sich selbst ausgeht, habe ich immer angenommen, dass eh alle Leute mit steigendem Grant kämpfen, je länger sie warten müssen. Aber wie die Online-Schlichtungsstelle „Wut&gut“ (doch, die gibt es wirklich), auf der man seine „Wutings“ und „Gutings“ posten kann (nein, ich erfinde das nicht), in ihrem aktuellen „Warteschlangenreport“ (nein, ich...) erhoben hat, sind ziemlich viele Menschen wartezeitentechnisch ziemlich tolerant. Nur 29,9 Prozent der Befragten finden es zum Beispiel sehr oder eher nervig, wenn sie beim Arzt lange warten müssen. Und nur 23,4 Prozent stört es, wenn sie sich beim Anstellen vor der Umkleidekabine die Beine in den Bauch stehen (um jetzt eine wirklich ganz üble Redewendung einzustreuen).

Als Erziehungsberechtigter verbringt man jedenfalls eine statistisch relevante Zeit seines Lebens damit, auf den Nachwuchs zu warten. Das beginnt beim Warten darauf, endlich vom Spielplatz nachhause gehen zu können („gleich“ und „sofort“ sind in der Wahrnehmung von Vierjährigen großzügig dehnbare Begriffe, die durchaus die eine oder andere Stunde umfassen). Ein fundamentales Problem zwischen Erwachsenen und Kindern ist nämlich, dass ihre Auffassungen, zu welchem Zeitpunkt es schnell gehen sollte und wann man sich mehr Zeit lassen kann, häufig sehr unterschiedlich sind: Gehen wir etwa ins Kino, wird der Weg zum Bus im Laufschritt in drei Minuten absolviert. Hat es die Mutter morgens eilig, weil, sagen wir, ein dringender Termin ansteht, lässt sich das Kind auf demselben Weg ausgiebig Zeit für eine ausführliche Inspektion der Kastanien, Käfer und offenen Kellerfenster. Für die Straße hinunter zum Bus brauchen wir an diesem Morgen 20Minuten und das gesamte Nervenkontingent der Mutter auf. 100 Prozent der Erziehungsberechtigten des Kindes finden das sehr oder eher nervig.

E-Mails an: mirjam.marits@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.09.2014)

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