Zensur im China-Restaurant

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Taucht in einem China-Restaurant eine korrekte Speisekarte auf, klingeln in Peking die Alarmglocken.

In China gibt es also Zensur. Und das trotz Olympia und der dringlichen Aufforderung der westlichen Welt, das doch bitte lieber bleiben lassen zu wollen. Seien wir uns ehrlich, so wirklich überraschend kommt das für uns nicht, immerhin kennen wir die Situation ja aus so gut wie allen China-Restaurants des Landes (und darüber hinaus). Auch hier schlägt die Zensur regelmäßig zu. Dann nämlich, wenn eine Speisekarte sich an einen Bereich annähert, der zumindest ansatzweise als korrekte deutsche Sprache durchgehen könnte. In solch einem Fall muss wohl im Ministerium für Speisekarten – gelegen wahrscheinlich im 14. Stock eines Bürogebäudes in Peking – eine Alarmglocke ertönen.

Ein namenloser Zensor, der akribisch die Mindestanzahl grammatikalischer Fehler überprüft, hebt den Hörer des roten Telefons ab. Mit steinerner Miene hört er die Schilderung eines Mitarbeiters vor Ort, der ihm die alarmierende Nachricht überbringt, dass in einem China Restaurant in Wien Landstraße ein annähernd fehlerfreies Dokument aufgetaucht ist. „Wir kümmern uns darum“, lautet die knappe Antwort des Bürokraten. Wenige Minuten später stehen drei freundliche Herren in schwarzen Anzügen vor der Küche des Restaurants. Der Lokalbesitzer im weißen Feinripp-Unterhemd sitzt weinend an einem Tisch und versucht zu erklären. Er wisse nicht, wie es dazu kommen konnte. Vermutlich habe ein Germanistikstudent in terroristischer Absicht die Fehler aus der Karte entfernt. Aber er werde gleich wieder die erforderliche Anzahl an Makeln einbauen. Und die Karte auch noch mit etwas Fett einreiben.

Das gefällt den Herren in den schwarzen Anzügen. Sie klappen die Speisekarte zu, nicken kurz und machen kehrt. Die knuspriger Ente und die drei gegrillten Hühnerspieße werden zufrieden sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.08.2008)

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