Hauben und Zwänge

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Gerade noch war der Herbst meine Lieblingsjahreszeit, da begrüßte mich eine Freundin vom Kind mit den Worten: „Meine Mama hat gesagt, ich soll heute einen Schal tragen, aber das mache ich bestimmt nicht.“ Und da fiel mir schlagartig wieder ein, wie die kalte Jahreszeit mit Kind so ist. Mühsam nämlich. Morgens, mittags, abends geprägt von der Diskussion, ob und wann eine Kopfbedeckung im Freien angebracht ist. Das Kind findet natürlich: Nein und gar nie. Als Mutter muss man natürlich auf „doch, und zwar sofort“ bestehen, auch wenn man sich an das Grauen des Haubenzwangs in der eigenen Kindheit samt Bedrohungsszenario („Sonst bekommst du Mittelohrentzündung und Meningitis“) noch bestens erinnern kann.

Die Haubendebatte macht den Aufenthalt im Freien derzeit also etwas beschwerlicher. Fixpunkt im Tagesverlauf ist das Betreten überhitzter Gefährte der Wiener Linien, in denen das Kind in seiner Kälteschutzkleidung überfallsartig von einem Schweiß- und Grantausbruch heimgesucht wird und damit beginnt, sämtliche wärmenden Bekleidungsstücke von sich zu reißen. Die elterliche Versicherung, dass wir bald aussteigen und sich das nicht mehr auszahlt, geht natürlich völlig ins Leere.
Immerhin kommt aber so ein wenig Abwechslung in die klassische Konversation zwischen Eltern und ihrem Nachwuchs im Rahmen von Bus- und U-Bahnfahrten. Denn das ganze Jahr über hört man Eltern vor allem folgende Sätze sagen: „Bleib bitte sitzen.“ – „Ich hab gesagt, du sollst sitzen bleiben.“ – „Na gut, dann steh, aber halt dich fest.“ – „Halt dich fest!“ – „Hör auf rumzuklettern, bleib stehen.“ Und wissen Sie was? Es tut unglaublich gut, andere Eltern derartige Sätze sagen zu hören, weil man dann weiß: Nicht nur das eigene Kind führt sich so auf. Die sind alle so.

Ich selbst habe als Schulkind selbstverständlich Stirnband (trägt das eigentlich noch irgendjemand?) und Haube abgenommen, sobald ich außer Sichtweite war. Mittelohrentzündung und Meningitis habe ich natürlich kein einziges Mal bekommen.
Aber sagen Sie das bloß nicht meinem Kind.

E-Mails an: mirjam.marits@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.10.2014)

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