Hol die Weißwurst, Hannelore, der Tiger kommt

(c) REUTERS (WONG CAMPION)
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Niemand ist frei von Vorurteilen – ich auch nicht, obwohl ich mir diesbezüglich die allergrößte Mühe gebe.

Doch immerhin ist es mir zuletzt gelungen, ein Vorurteil abzulegen. Die längste Zeit war ich nämlich der Überzeugung, Franzosen seien humorlos. Jetzt weiß ich es besser, und zu verdanken habe ich diese Erkenntnis dem Direktor des Zirkus „Pinder“. Der besagte Monsieur meldete sich vorletzte Woche zu Wort, als französische Medien darüber berichteten, dass in einem Vorort von Paris ein Tiger gesichtet worden sei. Eine hungrige Raubkatze in die Flucht zu schlagen sei gar nicht schwer, vertraute er Reportern an. Es genüge, laut zu schreien. Und zwar am besten auf Deutsch, weil sich Tiger vor kehligen deutschen Lauten besonders fürchten.

Dass Deutsch nicht allen Ohren schmeichelt, ist bedauerlich, aber naheliegend. Zwischen „Je t'aime“ und „Schwarzbraun ist die Haselnuss“ liegen nun einmal Welten. Ich halte die deutsche Sprache für melodiös und habe die letzten Tage damit verbracht, mir für den Notfall einen möglichst gefährlich klingenden Satz auszudenken. Er lautet „Hannelore, hol die Weißwurst aus dem Druckkochtopf“ und ist aus drei Gründen bedrohlich: Erstens, weil er ausgesprochen deutsch anmutet (glaube ich jedenfalls). Zweitens wegen seiner Frauenverachtung – warum soll die Hannelore an den Herd und nicht beispielsweise der Helmut? Und drittens, weil Weißwürste in einem Druckkochtopf nichts zu suchen haben. Wenn Hannelore nicht spurt, ist die Wurst beim Teufel.

Nachdem ich aber nicht davon ausgehe, dass es dem Herrn vom Zirkus um derartige Spitzfindigkeiten gegangen ist, deute ich seine Aussage als eine ironische Anspielung auf die aktuellen, durch die französische Schuldenpolitik verursachten Spannungen im Verhältnis zwischen Paris und Berlin. Sie können meine These übrigens leicht überprüfen: Sollten Sie demnächst in Frankreich von einem Tiger angefallen werden, schmettern Sie ihm „Stabilitätspakt!“ entgegen. Wenn er daraufhin nicht sofort die Flucht ergreift, dann habe ich recht gehabt.

E-Mails an: michael.laczynski@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2014)

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