Wiener Menetekel: Gewogen und zu schiach befunden

Josef Hoffmanns Klose-Hof
Josef Hoffmanns Klose-Hof(c) Wolfgang Freitag
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Mit Schriften an der Wand kann man ja, alttestamentarisch gesehen, ziemlich herbe Erfahrungen machen.

Mit Schriften an der Wand kann man ja, alttestamentarisch gesehen, ziemlich herbe Erfahrungen machen. Freilich, nicht jede kommt düster wie das biblische Menetekel daher. Eine der besteingeführten Wandschriften Wiens etwa gibt sich nüchtern-pragmatisch: „Erbaut von der Gemeinde Wien in den Jahren . . .“ kündet so gut wie jeder Gemeindebau von Feuer- oder sonstiger Mauer, und da ist nichts, was bedrohlich oder auch nur mysteriös schiene.

Womit sich die Sache schon erledigt hätte, wäre da nicht diese Schrift am Klose-Hof, Wien Döbling. Der nämlich ist „erbaut von der Gemeinde Wien in den Jahren 1924 und 1925“ – und zwar „nach den Plänen des Architekten Prof. Dr. Josef Hoffmann“. Ein Zusatz, der stutzig macht. Schließlich hielt sich die magistratische Praxis mit der öffentlichen Nennung jener, die für die Planung all der guten Gemeindebaudinge verantwortlich zeichneten, auffallend zurück.

Wieso ausgerechnet Josef Hoffmann so seltene Fassadenehre zuteil wurde? Womöglich, weil sie keine Ehre war. Mag man auch heutzutage kundigerseits den Klose-Hof „zum Feinsten“ zählen, „was der Wiener soziale Wohnbau zu bieten hatte“, so schien er manchen Zeitgenossen der 1920er „kahl“, „nackt“, ein „ungeheurer Würfel“. Kurz: ein kleiner Gemeindebauskandal. Auf den das zuständige Stadtbauamt augenscheinlich reagierte, wie es Ämter bis heute gerne tun: Man putzte sich magistratisch ab. Der Name des Planers, an der Wand kundgetan, lenkte jedenfalls die zornigen Blicke der Öffentlichkeit weg vom Bauherrn Gemeinde hin zum bösen Architekten.

Hoffmann selbst mutmaßte in der „Arbeiter-Zeitung“, das Stadtbauamt habe seine Urheberschaft so kenntlich gemacht, „um mir zur Strafe alle Verantwortung zu überlassen“. Der Architekt: ein Herr Belsazar, dessen Werk von demselben Stadtbauamt, das es in Auftrag gegeben und errichtet hatte, dann doch gewogen und zu schiach befunden ward. Menetekel nach Amtsart: wie man sich reinwäscht, ohne sich nass zu machen.

E-Mails an: wolfgang.freitag@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.01.2015)

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