Denk mal drüber nach

(c) Clemens Fabry
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Denken Sie mal nach – geht es Ihnen nicht auch fürchterlich auf die Nerven, wenn Ihnen jemand sagt, dass Sie mal nachdenken sollen?

Wenn das Gegenüber mitten in einem Gespräch plötzlich eine unerwartete Wendung hervorzaubert und den scheinbaren Coup mit dieser Phrase abschließt. Immerhin insinuiert er damit, man hätte das Thema der Debatte bis dahin maximal mit dem Rückenmark verarbeitet. Überlegen Sie mal – wird es besser, wenn die Formulierung leicht abgewandelt wird, die Arroganz des besserwisserischen Gesprächspartners aber unverändert vorhanden ist? Sie müssen das so sehen – mit rhetorischen Tricks wie diesen kann es gelingen, anderen Menschen ein als väterlichen Rat verpacktes „Ei, ei, Trottel“ unterzujubeln, und auf dem derart bestellten Acker die eigene Meinung einzupflanzen, auf dass sie aufgehen möge.

Verdächtig oft kommen derartige Aufforderungen ja von Menschen, deren Weltbild, sagen wir, nicht unbedingt dem Mainstream entspricht. Also etwa jenen, die ernsthaft erwägen, dass hinter den Kondensstreifen von Flugzeugen der Plan einer geheimen Weltregierung steckt, das Bevölkerungswachstum in Schach zu halten. Oder die in Conchita Wurst eine chinesische Geheimwaffe zur Unterwanderung der abendländischen Kultur sehen. Nur kurz zum Nachdenken – ein bisschen was muss an dem allen ja dran sein, sonst würden es die Medien ja nicht ständig so lächerlich machen. Hm?

In Wirklichkeit ist es nämlich so, dass Menschen, die Sätze mit „In Wirklichkeit“ beginnen, genau die gleiche rhetorische Waffe einsetzen. Wobei sie das manchmal auch mit Formulierungen à la „Seien wir uns ehrlich“ umschiffen. Also, seien wir uns ehrlich – bei Gesprächen, in denen Phrasen wie diese zum Einsatz kommen, ist Vorsicht angebracht. Denn allzu oft steht ein „Denk mal drüber nach“ dort, wo man sich ein „das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ nicht mehr zu sagen traut. Verwandt damit ist übrigens auch das „Ich habe es Ihnen ja gesagt“, das etwa dem gönnerhaften Tätscheln auf den Hinterkopf eines Kleinkindes entspricht. Interessant, nicht? Denken Sie mal drüber nach.

E-Mails an:erich.kocina@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.02.2015)

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