Das Über-Ich ist ein humorloses Luder

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Ich muss gestehen, liebe Leserinnen und Leser, dass mich Ihre Reaktionen auf meine letzte Kolumne doch einigermaßen verblüfft haben.

Ich muss gestehen, liebe Leserinnen und Leser, dass mich Ihre Reaktionen auf meine letzte Kolumne doch einigermaßen verblüfft haben. Beim Verfassen der Zeilen über mein schlechtes Gewissen gegenüber ungelesenen Büchern bin ich davon ausgegangen, dass ich der Einzige bin, der sich vor der eigenen Bibliothek geniert. Dem scheint allerdings nicht so zu sein, wie ich den vielen Zuschriften entnehmen konnte, die ich in den vergangenen Tagen erhalten habe – an dieser Stelle ein offizielles, nichtsdestotrotz ehrlich gemeintes Dankeschön für Ihre aufmunternden Worte.

Das Ausmaß des Zuspruchs hat mich zum weiteren, vertieften Nachdenken über das Phänomen angeregt. Ich glaube nun, den Verursacher des Problems ausgemacht zu haben: Es ist das Über-Ich, dieses humorlose Luder, das sich zum obersten Richter über meine Bedürfnisse aufgeschwungen hat. Es ist nämlich nicht so, dass mir das Lesen keinen Spaß mehr machen würde, ganz im Gegenteil. Die Sache ist nur, dass mir mein Super-Ego leichte Kost verbietet. Zum Beispiel einen packenden Zukunftsroman. Seit meiner Kindheit bin ich ein glühender Fan von Science-Fiction, aber der strenge Zensor in meinem Hirn will, dass ich ausschließlich Wertvolles zu mir nehme – weil ja die Lebenszeit zu knapp sei für Firlefanz...

Ich hoffe sehr, dass mir dieses öffentliche Geständnis längerfristig hilft, dem Über-Ich Grenzen aufzuzeigen. Jawohl, ich lese gern von Abenteuern in fernen Galaxien, und bin stolz darauf! Bis es allerdings so weit ist, habe ich mit meinem Zensor einen Deal gemacht: Anspruchsvolle Bücher ja, aber nur jene, auf die ich gerade Lust habe. Den ersten Erfolg konnte ich vorgestern verzeichnen: Ich legte Barbara Tuchmans (zweifellos sehr gutes) Buch über das 14. Jahrhundert nach 150 Seiten beiseite und griff stattdessen nach Heinrich August Winklers „Geschichte des Westens“. Gestern, kurz nach Mitternacht, bin ich bei Jean-Jacques Rousseau angelangt. Es liest sich recht flüssig. Bitte halten Sie mir die Daumen.

E-Mails an: michael.laczynski@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.03.2015)

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