Wir sollen sie loslassen, auf die Vernunft vertrauen

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Wenn die Nummer von der Schule auf dem Display aufleuchtet, durchfährt einen zuallererst der Gedanke: Hoffentlich ist nichts passiert.

Das geschieht reflexartig, das geht wohl vielen Eltern so. Die Pädagogen wissen das und sagen, bevor sie noch mehr sagen: „Es ist nichts Schlimmes passiert, machen Sie sich keine Sorgen. Das Kind hat ein bisschen Fieber, bitte holen Sie es ab.“ Durchatmen.

Immer wieder heißt es, dass Kinder heute überbehütet sind, überwacht geradezu. Sie dürfen zwar allein raus, aber immer an der Leine des Handys, das zwar kein Kabel hat, aber eine stabile Verbindung. Früher, da sind die Kinder durch die Wälder gestreunt, haben Überreste von Handgranaten in alten Schützengräben gefunden, heimlich gezündelt und überhaupt so ziemlich alle Regeln gebrochen, die es heute so wie auch die Gelegenheiten, sie zu brechen, gar nicht mehr gibt.

Manche Kinder sind auch gegen Ende ihrer Volksschulzeit noch nie allein in die Schule oder von dort nach Hause gegangen. Weil die Autofahrer immer verrückter werden, in die Kreuzung einfahren, obwohl die Ampel schon rot ist, weil sie telefonieren, weil es alle immer eiliger haben und immer länger überall hinbrauchen. Je mehr man gleichzeitig macht, desto weniger ist getan, aber das merkt man nicht, weil man zu beschäftigt ist.

Früher, da haben die Eltern wochenlang nichts von ihren Kindern gehört, wenn sie zum ersten Mal das Land verlassen haben. Das Kind kommt nicht sicherer heim, wenn es vor dem Abflug noch schnell ein SMS schreibt. Wir sollen sie loslassen, auf ihre Vernunft vertrauen und auf die der anderen.

Die Unfälle auf der Straße gehen zurück. Fliegen ist sicherer, als zu Fuß zu gehen. Man sagt: „Komm gut wieder.“ Und: „Bis bald.“ Früher haben die Eltern auch nicht so ein Trara gemacht. Weil sie gar keine Möglichkeit dazu hatten. Ob sie sich aber auch weniger Sorgen gemacht haben? Wahrscheinlich nicht.

E-Mails an: friederike.leibl-buerger@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.03.2015)

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