Der Stärkere ist immer viel lauter

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Zuerst ist nicht klar, was einen irritiert. Das Auto fährt tadellos. Aber irgendetwas stimmt nicht. Es ist so leise.

Vor allem, wenn es langsam fährt, surrt das Elektroauto nur ein bisschen, es gibt keinen Motorenlärm. Ein Segen? Nicht nur, meinen Experten. Dass die Autos vor allem beim Einparken und Wegfahren fast geräuschlos sind, könnte für Fußgänger gefährlich sein. Abhilfe soll künstlich erzeugter Motorenlärm schaffen.

Die Irritation dürfte aber nicht nur mit der Sorge um das Wohl von Fußgängern zusammenhängen. Denn wenn man davon ausgeht, dass diese sich ausschließlich auf ihr Gehör verlassen und sonst den Gefahren hilflos ausgeliefert sind, käme dies fast einer Entmündigung aller Teilnehmer im Straßenverkehr gleich.

Vielleicht hängt der Wunsch nach Motorenlärm auch damit zusammen, dass man das Wegbleiben von etwas, was stets untrennbar mit Funktionsfähigkeit verbunden war, als Schwäche empfindet? Nicht ohne Grund werden besonders starke Autos mit besonders lautem Lärm assoziiert. Lautstärke suggeriert grundsätzlich Kraft. Oft zu Unrecht.

Wie Geräusche unsere Vorstellungen von den Dingen prägen, merkt man auch an der Beliebtheit des Handyklingeltons, der nach antiquierten Telefonapparaten klingt, bei denen der Hörer als Begleitmusik zum lauten Schrillen auf der Gabel schepperte. Fehlt nur noch das Geräusch einer ratternden Wählscheibe, während die Finger lautlos über das Display huschen.

Babys lieben „white noise“, weißes Rauschen, diffusen Lärm, wie ihn etwa Föhn, Staubsauger, ein Radio zwischen den Frequenzen erzeugen. Es erinnert sie wohl an die Geräusche, die sie im Mutterleib wahrgenommen haben. Das ändert sich später. Als Kinder dachten wir, das Rauschen im Radio käme aus dem Weltall, es war so mystisch wie das Schneetreiben im Fernsehen. Erwachsene empfinden das Rauschen meist als unangenehm. Dafür muss ein ordentliches Auto auch ordentlich Lärm machen.

E-Mails an: friederike.leibl-buerger@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.04.2015)

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