Ein Geburtstagsfest ohne Erbarmen

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Frühling ist, und unpassenderweise bin ich ein wenig melancholisch. Das liegt daran, dass in diese Jahreszeit viele Jubiläen fallen.

Beispielsweise der Jahrestag der Matura, der in regelmäßigen Abständen Menschen zusammenbringt, die unter normalen Umständen nichts mehr miteinander zu tun hätten. Vorgestern war ich jedenfalls zu einer Feier geladen – zwei Jugendfreundinnen begingen ihren vierzigsten Geburtstag. Ich halte den Vierziger für das erbarmungsloseste Fest. Wer den dreißigsten Geburtstag feiert, kann sich bezüglich seines weiteren Lebens noch Illusionen machen – dass die beruflichen und privaten Weichen nicht gestellt sind, dass man Zeit hat für Entscheidungen und dass einem alle Wege offen stehen. Zehn Jahre später gibt es diesen Luxus nicht mehr. „Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr; wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben“, um mit Rilkes Worten zu sprechen. Vom Fünfziger kann ich nicht berichten, da fehlen mir noch die einschlägigen Erfahrungen. Er dürfte aber nicht so übel sein, so viel ich mitbekommen habe.

Natürlich ist das jetzt ein wenig übertrieben – aus eigener Erfahrung weiß ich sehr wohl, dass es ein Leben jenseits der vierzig gibt. Ein unbeschriebenes Blatt ist man aber auch nicht mehr. Hinzu kommt der Prozess der charakterlichen Deformation: Was in jungen Jahren noch als liebenswürdiger Spleen gegolten hatte, hat sich spätestens jetzt zum handfesten Problem ausgewachsen. Doch zurück zur besagten Feier. Ich hatte die beiden seit ihrem Dreißiger nicht mehr gesehen – und ich habe den Eindruck gewonnen, dass die Jahre es mit ihnen gut gemeint haben. Sie schienen sich sehr wohl in ihrer Haut zu fühlen. Apropos Haut: Nicht von allen Partygästen wurde ich sofort identifiziert, was mich doch etwas enttäuscht hat. Anderseits ging es mir nicht anders – ich stand an der Bar, hielt mich an meinem sauren Radler fest und blickte in viele fremde Gesichter. Hinter einigen von ihnen versteckten sich vermutlich alte Bekannte.

E-Mails an: michael.laczynski@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.06.2015)

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