Stoische Ruhe will erlernt sein

Themenbild
Themenbild(c) www.BilderBox.com
  • Drucken

Der kommunikative Kellner hatte doch nur Spaß im Sinn: bestimmt kein Grund zum Ärgern!

Emotionen sind hier fehl am Platz. Dass ich humorlos bin, ist eine sachliche Darlegung von Fakten. Wie sonst wäre mein ausbleibender Lachanfall zu erklären, als der zum Scherzen aufgelegte Kellner bei der Getränkebestellung zum ersten Schenkelklopfer ausholt: „Wasser zum Wein? Gibt's in der Alten Donau“, lässt er uns wissen – ohne dabei auch nur mit einem Sterbenswörtchen die – bis zum jetzigen Zeitpunkt – 20-minütige Wartezeit zu bedauern. Könnte es sein, dass wir gerade mit gelangweilten Touristen verwechselt werden, die unbedingt einmal im Leben dem legendären Charme eines Wiener Originals erliegen wollen? Das höfliche Lächeln mancher Mitessender motiviert unseren Kellner jetzt zur Empfehlung einiger „besonderer“ Angebote aus der Speisekarte. „A Prosecco Holunder und a frisches SommersalatERL für die Damen?“, fragt der Mann mit dem schelmischen Augenzwinkern. Auf das mehrmalige, (noch) höfliche Verneinen reagiert er mit einem kecken Zungenschnalzer und einer abschätzigen Handbewegung. „Legen Sie sich nicht mit meiner Frau an“, empfiehlt jetzt scherzhaft mein Mann, der die Situation außer Kontrolle geraten sieht. Bevor es so weit ist, verlassen wir das Etablissement – jedoch nicht ganz ohne schlechtes Gewissen: Hätte es die Höflichkeit geboten, artig mitzuspielen? Oder ist ein freundlicher Hinweis darauf erlaubt, dass man einfach nur in Ruhe essen will – und die Speisen nach Möglichkeit und ausnahmsweise (??) auch selbst aussuchen möchte?

„Du bist zu kritisch“, höre ich oft. Mag sein. Bestimmt haben es im Leben jene leichter, die eine Auseinandersetzung lieber weglächeln, als sich ihr zu stellen. Der Drängler an der Supermarktkassa, der Radler, der mich am Fußweg anklingelt: All diese Herausforderungen des Alltags werde ich von nun an stoisch ertragen – und vielleicht so auch meinen Humor wiederfinden.

E-Mails an: anna.gabriel@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.06.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.